Skip to main content

Finanzkrise verstärkt Hunger in Entwicklungsländern

Finanzkrise verstärkt Hunger in Entwicklungsländern

WFP präsentiert Studie im Vorfeld des G8-Gipfels

Rom, den 10. Juni 2009 - Das UN World Food Programme (WFP) hat heute die Ergebnisse einer bahnbrechenden, fünf Länder umfassenden Studie über die Auswirkungen der Finanzkrise auf vom Hunger bedrohte Familien präsentiert. Mit Blick auf das morgige Treffen der Entwicklungsminister in Rom im Vorfeld des G8-Gipfels, forderte WFP-Exekutivdirektorin Josette Sheeran von den Regierungen ihre Programme zur sozialen Sicherung in dieser kritischen Phase aufzustocken, da die Wirtschaftskrise sich auf viele arme Familien in Entwicklungsländern bereits dramatisch auswirke.

„Wir sind alarmiert, dass unsere Studie für jedes der fünf Länder eine Zunahme des Hungers prognostiziert“, sagte Sheeran. „Die Finanzkrise bewirkt, dass der Hunger vor allem unter den Armen, denen weniger als US$ 2 pro Tag zur Verfügung steht, weiter zunehmen wird und uns das Schlimmste noch bevorsteht“, so Sheeran.

Die Fallstudien untersuchen Armenien, Bangladesh, Ghana, Nicaragua, und Sambia, sind aber stellvertretend entwickelt worden für viele Länder, die mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind. WFP-Experten berichten, dass die Mehrheit der Haushalte die Krise nur bewältigen, indem sie die Zahl der Mahlzeiten reduzieren oder billigere und weit weniger nahrhafte Nahrungsmittel auswählen. Viele Familien geben weniger für die medizinische Versorgung aus oder nehmen ihre Kinder aus der Schule.

WFP hat einen „Economic Shock and Hunger Index“ entwickelt, der auf wirtschaftlichen Faktoren und Indikatoren der Ernährungssicherheit basiert, um zu ermitteln, welche Länder am schwersten von der Finanzkrise getroffen werden. WFP analysierte 126 Länder und entwarf eine Liste von Ländern, in denen Faktoren wie Transfers von Gastarbeitern, Exporte, Schulden oder Wechselkursschwankungen die Ernährung der Menschen gefährden können. Basierend auf dem Index, hat WFP fünf Fallstudien initiiert.

Fallstudien:
In Armenien, einem Land das charakteristisch für Volkswirtschaften ist, die stark von Rücküberweisungen aus dem Ausland abhängen, sind die Auswirkungen der Krise unmittelbar zu spüren. Die Studie unterstreicht die Notlage derjenigen, die in Armenien auch „die neuen Armen“ genannt werden. Viele Arbeiter suchten im Ausland nach Jobs in den Baubranchen Russlands und Europas. Rücküberweisungen - die 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und die Haupteinnahmequelle für ein Viertel aller Haushalte ausmachen - sanken um ein Drittel im ersten Quartal 2009, verglichen mit dem Vorjahr. WFP zeigt sich besorgt über das Risiko von Nahrungsmangel, besonders im kommenden Winter. Viele Haushalte kaufen bereits jetzt Nahrungsmittel auf Kredit und riskieren in eine Schuldenfalle zu geraten.

In Sambia sind die Nahrungsmittelpreise besonders hoch und Grundnahrungsmittel bis zu zwei Drittel teurer als zum selben Zeitpunkt im vergangenen Jahr. Viele Familien haben begonnen, die Anzahl der Mahlzeiten zu reduzieren und sich billiger, aber weniger gehaltvoll zu ernähren. Wie in vielen anderen Ländern auch, sind Wechselkurse und Exporte stark betroffen. Die nationale Währung hat ein Drittel ihres Wertes gegenüber dem US-Dollar zwischen März 2008 und 2009 eingebüßt. Der Preis für Kupfer, das Hauptexportgut, ist drastisch gesunken. Geschätzte 8.000 Arbeitsplätze sind gestrichen worden in der relativ wohlhabenden „Copperbelt Province“, wo ca. 30.000 Menschen im Bergbau tätig sind. Viele Bergarbeiter waren abhängig von ihren Arbeitsgebern bezüglich Mahlzeiten und medizinischer Versorgung, wie beispielsweise HIV-Medikamenten. Auch der Tourismus ist schwer betroffen. Diebstahl und Prostitution nehmen zu.

Bangladesch ist unter den Top-5 Empfängern von Auslandsüberweisungen und hat in der Vergangenheit beeindruckende Fortschritte bei der Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele gemacht. In den vergangenen Monaten waren jedoch tausende von bangladesischen Arbeitern gezwungen, nach Hause zurückzukehren, die Auswanderung ging im Vergleich zum Vorjahreszeitraum in den ersten drei Monaten 2009 um 40 Prozent zurück. Mittlerweile fallen die Exportanfragen für Textilien und für Fisch. Das Land steht vor großen Herausforderungen: Einer gemeinsamen Studie der Regierung, des WFP und von UNICEF zufolge hatte Ende 2008 jedes vierte Kind in Bangladesch keinen verlässlichen Zugang zu Nahrung. Die Rate der schweren chronischen Unterernährung liegt aktuell bei 20 Prozent.

Eine der größten Befürchtungen des WFP ist, dass der globale Abschwung die erreichten Erfolge im Kampf gegen den Hunger gefährdet. Ghana wurde deswegen als Fallstudie ausgewählt, da es in den vergangenen Jahren große Fortschritte bei der Beseitigung der Armut gemacht hat und über ein soziales Sicherungsnetz verfügt. Obwohl bisher die Nachfrage nach Gold und Kakao, den beiden Hauptexportgütern Ghanas, stabil blieb, ist etwa der Export von Holz zurückgegangen. Die Studie zeigt, dass sowohl die Menge als auch die Qualität der konsumierten Nahrung gesunken ist. In der am stärksten von Hunger heimgesuchten Gegend, der Savanne, sind besonders die Frauen betroffen, die Sheanüsse für die Kosmetikindustrie sammeln.

Auch Nicaragua ist größtenteils abhängig von Rücküberweisungen aus dem Ausland und stellt ein Land dar, das besonders gefährdet von den Auswirkungen der US-Wirtschaftsflaute ist. Die Nachwirkungen der Überschwemmungen sowie von Hurrikan Felix schwächten die Wirtschaft bereits im Vorfeld. Die Inflation der Nahrungsmittelpreise erreichte im August 2008 mit 34 Prozent ihren Höhepunkt. Ernährungsgewohnheiten verändern sich, da die Menschen teilweise auf Fleisch und Milchprodukte verzichten. Familien versuchen über die Runden zu kommen, in dem sie ihren Viehbestand verkaufen, weniger für medizinische Versorgung und Bildung ausgeben und in manchen Fällen ihre Kinder aus der Schule nehmen. Voraussichtlich wird die weltweite Krise wichtige Exportgüter treffen, wie Kaffee, Meeresfrüchte und Kleidungsstücke für den US-Markt.

Laut Sheeran kämpfen viele Menschen und Regionen nach wie vor massiv mit den Preissteigerungen, die 2008 ihren Höhepunkt erreichten. Die Preise blieben nachhaltig hoch und im Zuge des wirtschaftlichen Abschwungs könnten viele Arbeiter im Ausland kein Geld mehr an ihre Familien in den Heimatländern überweisen.

„Es besteht ein ernstzunehmendes Risiko, dass sich der chronische Hunger verschlimmert, dass die hart erkämpften jüngsten Erfolge verloren gehen“, sagte Sheeran. Die Studien fanden heraus, dass die von der Finanzkrise am schwersten betroffene Gruppe ungelernte Arbeiter im städtischen Raum sind, die auf Rücküberweisungen aus dem Ausland angewiesen sind, sowie Arbeiter im Exportsektor, im Bergbau und im Tourismus. Die am schwersten Betroffenen sind nicht zwangsläufig die Ärmsten der Armen, sondern eine neue Gruppe von Menschen, die nun drohen in die Armut zu stürzen.

Empfehlungen:

- Regierungen darin zu unterstützen, nationale soziale Sicherheitsnetze sowie ernährungsbezogene Interventionen auszuweiten, insbesondere mit Blick auf Kinder und Frauen, wie beispielsweise Schulspeisungsprogramme.

- Regierungen darin zu ermutigen, Budgets für Programme zur sozialen Sicherung bereit zu stellen und zu erhalten.

- Die Überwachung der Ernährungssicherheit zu verstärken und flexibler zu machen, um neue Entwicklungen schneller erkennen zu können.

Das UN World Food Programme (WFP) ist die größte humanitäre Organisation der Welt. Unsere Ernährungshilfe wird 2009 rund 105 Millionen Hungernde in 74 Ländern unterstützen.