Coronavirus und Welthunger: Wie man die Auswirkungen minimieren kann
Während sich die neuartige Coronavirus (COVID-19) Pandemie immer weiter ausweitete, entwickeln wir eine Obsession für Zahlen und Statistiken: Wie viel neue Fälle gibt es in wie vielen Ländern? In welcher Kurve steigt die Infektionsrate? Wie hoch ist die Sterblichkeitsrate und wie sieht sie im Vergleich zur „normalen Grippe" aus?
Aber das sind nicht die einzigen Zahlen, die schlaflose Nächte bereiten. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie geben Anlass zur Sorge — auch wenn ihr Ausmaß noch unbekannt ist.
„Es ist noch zu früh, um eine genaue Einschätzung der Folgen von Covid-19 auf die Wirtschaft vorzunehmen", sagt Arif Husein, Chefökonom des UN World Food Programmes (WFP), im abgeriegelten Rom, wo es derzeit unheimlich still ist.
„Sicher ist, dass wir mit einem globalen Konjunktureinbruch rechnen können, der sehr wahrscheinlich auch die Volkswirtschaften ärmerer Länder erreicht. In diesen Kontexten kann ein wirtschaftlicher Abschwung den bereits existierenden Hunger noch weiter verschärfen. Mit wirtschaftlichen Problemen haben Menschen auf unterschiedliche Arten weniger Zugang zu nahrhaftem Essen. Zum Beispiel verlieren sie ihre Arbeitsplätze und Einkommen", erklärt Husain.
Im Prinzip ist die Landwirtschaft weniger betroffen, als andere Sektoren. Aber krankheitsbedingter Arbeitskräftemangel, Transportunterbrechungen, Quarantänemaßnahmen, die den Zugang zu Märkten einschränken, und andere Unterbrechungen in der Lieferkette, die zu Nahrungsmittelverschwendung und -verlusten führen, könnten die Produktion und Versorgung beinträchtigen.
Auf Verbraucherseite könnte eine schwächere Kaufkraft die Ernährungsgewohnheiten der Menschen verändern. Können sie sich etwa nur mehr Grundnahrungsmittel leisten, würden sie sich schlechter als bisher ernähren. Hamsterkäufe, die wir gerade weltweit beobachten, könnten Lieferketten sprengen und lokale Preise in die Höhe treiben.
Neben den allgemeinen Implikationen eines Konjunktureinbruchs für den Zugang zu Nahrung, könnte eine Ausbreitung des Virus in einem ärmeren Land mit höheren Hungerzahlen die Wirtschaft noch härter treffen.
„Länder, in denen es mehr Hunger gibt, sind generell anfälliger und schlechter auf den Ausbruch einer Pandemie vorbereit — das bedeutet höchstwahrscheinlich auch höhere Sterblichkeitsraten", hält Husain fest. „Außerdem erhöht Mangelernährung die Anfälligkeit für Krankheiten."
„Die wirtschaftlichen Folgen dieser Krankheit könnten mehr Menschen schaden, als das Virus selbst."
Diese stärkere Gefährdung von Arbeitskräften in ärmeren Ländern, in denen mehr Menschen Hunger leiden, würde noch dazu die weniger technisierte und damit arbeitsintensivere Landwirtschaft treffen — und dadurch die Produktion verringern. Gleichzeitig ist der Dienstleistungssektor in ärmeren Ländern oft weniger digitalisiert und stärker auf persönlichen Kontakt angewiesen. Das bedeutet, dass Eindämmungsmaßnahmen für menschliche Interaktionen — oder wenn Kund*innen aus Angst fernbleiben — diesen Sektor ungleich härter treffen.
In einigen einkommensschwachen Ländern — zum Beispiel in Subsahara-Afrika — könnten das wärmere Klima, die jüngere Bevölkerung, die weniger dicht und vor allem in ländlichen Gebieten wohnt und das begrenzte Verkehrsnetz zu einer langsameren Verbreitung von Covid-19 führen.
Dennoch ist Husain besorgt: „In manchen Kontexten könnten die wirtschaftlichen Folgen dieser Krankheit mehr Menschen schaden, als das Virus selbst", sagt er. „Denken Sie an arme Menschen in den vielen Ländern, die auf den Import von Nahrungsmitteln und Treibstoff angewiesen sind und diesen mit dem Export von Rohstoffen bezahlen. Für sie bedeutet eine durch Covid-19 ausgelöste Rezession der Weltwirtschaft wesentlich teurere Importe und wesentlich weniger Erträge durch Exporte. Wir müssen dafür sorgen, dass sie diesen Doppelschlag überleben!"
Was ist also das Rezept, um den Auswirkungen der aktuellen Krise auf den Welthunger zu begegnen?
„Die gute Nachricht ist, dass sich diese Pandemie nicht unbedingt in eine Ernährungskrise verwandeln muss", sagt Husain. Er warnt davor, dass „das Ausmaß mit dem sich Covid-19 auf die Nahrungsmärkte auswirkt davon abhängt, ob Länder angesichts Unterbrechungen in den Lieferketten ruhig bleiben und nicht auf eine sogenannte ,beggar-thy-neighbour‘-Politik zurückfallen, in der Länder ihre Probleme auf ihre Nachbarn abwälzen."
„Der reibungslose Ablauf des Welthandels wird dabei helfen, die Nahrungsmittelversorgung zu sichern", stellt Husain fest. „Und die Überwachung der Nahrungsmittelpreise und -märkte — worin WFP langjährige Erfahrung hat — sowie der transparente Austausch relevanter Informationen wird die jeweilige Regierungspolitik stärken und Menschen vor Panikreaktionen bewahren.
Wichtig ist, dass besonders gefährdete Länder und Bevölkerungen unterstützt werden — nicht nur bei der medizinischen Versorgung, sondern auch durch Sicherheitsnetze, die flexibel auf Schocks reagieren können.
„Mit fortlaufender Unterstützung durch unsere Geber kann WFP dazu beitragen, diese Hilfe zu leisten und damit Gesellschaften und Familien dabei unterstützen, sich nach der Epidemie schneller zu erholen", fasst Husain zusammen.