"Meine Begegnungen haben mir gezeigt, dass sich wirklich etwas verändert."
"Ich bin Marieke Wagenhäuser, 34 Jahre alt, und war bis vor Kurzem in Dakar, Senegal, beim Regionalbüro für Westafrika des UN-Welternährungsprogramms (WFP) beschäftigt. Zu WFP bin ich über eine sogenannte Abordnung des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gekommen. Schon zuvor habe ich im Rahmen der BMZ-Übergangshilfe mit WFP zur Sahel-Region gearbeitet. Die Arbeit vor Ort war dann ein spannender Perspektivwechsel."
Kannst du uns die Initiative in wenigen Sätzen beschreiben?
Die Sahel Resilienz-Initiative ist eine Weiterentwicklung eines integrierten Resilienzansatzes, der bereits sehr viel länger mit guten Ergebnissen im Niger umgesetzt wird und dann seit 2018 unter anderem mit Finanzierung des BMZ auf die Sahel G5-Länder ausgeweitet wurde (Burkina Faso, Tschad, Mali, Mauretanien, Niger). Im Herzen der Initiative stehen die Food Assistance for Asset (kurz: FFA) Aktivitäten, bei denen WFP mit Dorfgemeinschaften zusammenarbeitet, um zum Beispiel Böden wieder für die Landwirtschaft nutzbar zu machen - als Weidenflächen oder als Grünstreifen und Waldgebiete, um Ökosysteme wiederherzustellen und sie gegen den Klimawandel zu stabilisieren. Daran schließen sich dann andere Aktivitäten an, um die Menschen umfassend zu stärken: Zum Beispiel Programme für Schulmahlzeiten, um den Zugang von Kindern und vor allem Mädchen zur Schule zu verbessern. Unterstützung für Kleinbäuer*innen, um ihre Produkte zu besseren Konditionen an den Markt zu bringen, sowie die Behandlung und Prävention von Mangelernährung, sowie Ernährungsberatung und Sensibilisierung für Mütter und Väter von kleinen Kindern.
Was sind die wichtigsten Ziele?
Das Ziel ist es, die Menschen in den ländlichen Gemeinden im Sahel, in denen WFP arbeitet, in ihrer Resilienz gegenüber multiplen Faktoren zu stärken. Dazu gehören zum Beispiel der Klimawandel und sich verändernde Lebensgrundlagen, Konflikte und instabile oder wenig vorhandene soziale Basisinfrastruktur sowie globale Krisen mit lokalen Auswirkungen wie die Covid-19 Pandemie oder der Ukraine-Krieg. Das Ziel ist es die Menschen dabei zu stärken, mit diesen Krisenfaktoren besser umgehen zu können, sodass sie zum Beispiel durch Bodenrehabilitierung und Wasserspeichertechniken trotz knapper Ressourcen genug Landwirtschaft betreiben können, um sich und ihre Familien zu ernähren. Oder dass sie durch Ernährungsberatung lernen, wie sie erste Anzeichen von Mangelernährung bei ihren Kindern früher entdecken und was sie dann tun können. Gleichzeitig sollen lokale staatliche Strukturen und Dienstleister so weit gestärkt werden, dass sie besser in der Lage sind, der Bevölkerung essenzielle soziale Basisdienste (wie zum Beispiel Zugang zu Gesundheit und Wasser) zur Verfügung zu stellen. Selbsthilfekapazitäten zu stärken steht im Zentrum - deswegen arbeitet WFP eng mit den Gemeinden, staatlichen und nicht-staatlichen Strukturen und anderen Partnern zusammen.
Was wurde bisher erreicht?
Seit Beginn der Ausweitung der Resilienz-Initiative in 2018 konnten insgesamt 158.000 Hektar Land rehabilitiert und somit für den Anbau wieder nutzbar gemacht werden. 2.500 Hektar konnten als Gartenfläche für Gemüseanbau gewonnen werden. 2.250 Teiche konnten gebaut werden und somit z.B. für Bewässerung oder Fischzucht nutzbar gemacht werden. 610 Brunnen und 345 Bohrlöcher konnten gebaut werden, wodurch sich der Zugang zu Wasser für die Landwirtschaft verbessert. 500 Community-based Participatory Planning (CBPP) Prozesse wurden gemeinsam mit Gemeinden und Partnern durchgeführt. Gemeindebasierte partizipative Planung steht am Anfang der Resilienzaktivitäten. Im Rahmen dieses mehrtägigen Planungsprozesses begleitet WFP die Gemeinden dabei, ihre Ausgangslage, Chancen und Herausforderungen zu analysieren und diskutieren. Am Ende steht dann ein 3-Jahresplan und prioritäre Food Assistance for Assets-Maßnahmen, die WFP gemeinsam mit Partnern und den Menschen vor Ort umsetzt.
Und am wichtigsten: Daten aus unseren regelmäßigen Befragungen der Programmteilnehmenden legen nahe, dass die Projekte Wirkung zeigen! Die Mehrheit der Menschen, die wir im Rahmen unseres Resilienzprogramms unterstützen, hat ausreichendes und gutes Essen zur Verfügung, während sich die Ernährungssicherheit der allgemeinen Bevölkerung in dem Gebiet im gleichen Zeitraum deutlich verschlechtert hat.
Das trägt unter anderem dazu bei, die Bedarfe für humanitäre Hilfe zu verringern. Beispielsweise war Niger letztes Jahr von einer schweren Dürre betroffen, die Gebiete, in denen wir aktiv sind, haben besonders darunter gelitten. Trotzdem waren 80% der Dörfer, die Teil des WFP-Resilienzprogramms sind, nicht auf humanitäre Hilfe angewiesen – sie waren also in der Lage, besser auf die Extremsituartion zu reagieren und damit umzugehen.
Ein Teil der Sahel-Resilienz-Initiative ist das Programm „Food Assistance for Assets.“ Was bedeutet das in der Praxis?
„Food Assistance for Assets“ (FFA) verfolgt ein doppeltes Ziel. Einerseits erhalten Teilnehmende für einen Teil ihrer Arbeit Nahrungsmittelhilfen in Form von Bargeld, Gutscheinen oder Nahrungsmitteln. Mit dieser Unterstützung können sie sich die unmittelbar notwendigen Dinge leisten – vor allem Nahrungsmittel für ihre Familien. Gleichzeitig leisten sie einen Beitrag zum Aufbau produktiver Infrastruktur. In der Praxis bedeutet das zum Beispiel, dass die Menschen lernen, wie man Halbmonde in den Boden gräbt und so das Wasser in der Regenzeit besser zurückhalten kann. Das erhöht die Chancen auf eine gute Ernte. WFP unterstützt die Menschen unmittelbar mit Nahrungshilfe und mittelfristig dabei, Lebensgrundlagen aufzubauen oder zu verbessern.
Die Initiative wird über mehrere Jahre vom BMZ gefördert. Warum ist das so wichtig?
Resilienz zu stärken ist ein Projekt auf lange Sicht. Eine langjährige Förderung erlaubt es WFP wirklich mit Menschen zusammen zu arbeiten und sie in einem Prozess zu begleiten. An den Orten, wo WFP schon länger diesen Ansatz verfolgt, sieht man die Fortschritte: Die Böden halten Wasser, der Grundwasserspiegel steigt und mit der Zeit werden die Menschen weniger abhängig von direkten Nahrungsmittelhilfen, weil sie auf den Böden wieder etwas ernten. Aber all das braucht Zeit. Rückschläge gibt es leider auch, wie zum Beispiel durch den Krieg in der Ukraine, der Lebensmittelpreise auch hier im Sahel nach oben getrieben hat. Wegen der Klimakrise fallen Regenzeiten aus, es gibt Dürren oder Überschwemmungen. Deswegen ist es wichtig, längerfristig dranzubleiben. Langfristige Förderung ist auch ein Signal an die Menschen vor Ort. Wenn eine Organisation eine gesicherte Förderung über mehrere Jahre hat, heißt das mehr Sicherheit und Perspektive für die Menschen, denen geholfen wird.
Warum sollten uns Programme wie das in der Sahelzone auch hier in Deutschland interessieren?
Zuallererst aus humanistischer Sicht. Es sollte uns in Deutschland nicht egal sein, mit welchen Herausforderungen die Menschen im Sahel zu kämpfen haben. Jedes Kind auf der ganzen Welt sollte Zugang zu Nahrung, zu Schulunterricht und Gesundheit haben und konfliktfrei aufwachsen können. Jeder Mensch sollte in der Lage sein, sich ausreichend und gesund ernähren zu können und genug Einkommen zu haben, um ein abgesichertes Leben zu führen und Krisen abfedern zu können. Das ist für mich eine Frage der Menschenrechte.
Gleichzeitig haben die Covid-19 Pandemie und auch der Krieg in der Ukraine gezeigt, wie schnell sich lokale Konflikte zu globalen Krisen entwickeln können. Der Klimawandel ist für uns alle ein Herausforderung. In diesem Jahr schauen wir in Europa mit Bestürzung auf einen Dürresommer. Flussbetten sind ausgetrocknet, Ernten verkümmert, Wälder abgebrannt. Das ist im globalen Süden längst Realität. Ich denke in dieser Krise können und müssen wir alle voneinander lernen. Wir bringen nicht nur Lösungen in den Sahel, der Sahel hat auch selbst viele Lösungen parat.
Welche Erlebnisse sind dir bei deiner Zeit vor Ort besonders in Erinnerung geblieben?
Insgesamt waren die Momente, die ich vor Ort in den Projekten verbracht habe, unglaublich lehrreich und spannend für mich. Eine Reise führte mich in die Assaba-Region in Mauretanien. WFP wurde dabei von einem lokalen Unternehmen begleitet, das Drohnenaufnahmen von landwirtschaftlichen Flächen macht und unter anderem auch im Auftrag von WFP staatliche und nicht-staatliche Vertreter*innen darin schult, Drohnen einzusetzen, um Projekte besser planen und überwachen zu können. Es war schön zu sehen, dass es sich auch zu einem Werkzeug entwickelt hat, um die lokalen Gemeinschaften besser in die Planung miteinzubeziehen. Ich war bei einer Gemeinde-Planung in einem Dorf dabei (Community-based participatory planning), in dem alle gebannt auf einen Bildschirm geschaut haben, um dort live zu sehen, wie die Drohne über das Dorf und die umliegenden Landflächen fliegt. Gemeinsam konnte dann besprochen werden, welche Flächen sich für landwirtschaftlichen Anbau eignen, wo Reparaturbedarf besteht. Das fand ich sehr spannend.
Gibt es Momente oder Begegnungen, die dir gezeigt haben, wie wichtig die Initiative ist?
Ja, insbesondere die Reisen in die älteren Projektgebiete im Niger. Da, wo WFP auch schon vor 2018 mit dem Resilienzansatz tätig war. Die Begegnungen und Gespräche mit den Menschen haben gezeigt, dass sich mit der Zeit wirklich etwas verändert hat. Auch dort brauchen die Menschen noch Unterstützung – aber andere. Es gibt weniger mangelernährte Kinder. Es bedarf weniger Ernährungshilfe. Dafür aber brauchen insbesondere Jugendliche Unterstützung dabei, ihre beruflichen Fähigkeiten zu verbessern, um ein Einkommen zu erzielen, das ihnen auch erlaubt bei ihren Familien zu bleiben und nicht auf der Suche nach Arbeit in die Städte zu migrieren.
Die Länder der Sahelzone haben besonders stark mit Auswirkungen der Klimakrise zu kämpfen. Welche Rolle spielt das in den Projekten vor Ort?
Durch den Klimawandel schreitet die Wüstenbildung im Sahel immer weiter voran. Die Böden werden immer trockener und können das Regenwasser nicht mehr aufnehmen. Dadurch bekommen starke Regenfälle eine destruktive Kraft und tragen noch weiter zur Bodenerosion bei. Fällt der Regen aus oder kommt zu heftig, dann fallen auch die Ernten aus – mit fatalen Folgen für die Ernährungssicherheit der Menschen. Oft verlassen die Menschen ihre Dörfer, um in den Städten Arbeit zu finden. Soziale Gefüge fallen auseinander. Besonders verheerend sind die Konflikte um Lebensgrundlagen, so etwa zwischen nomadisch lebenden Viehirten und Kleinbäuer*innen. Solche Konflikte können auch Nährboden für terroristische Gruppen sein, die sich aus perspektivlosen Jugendlichen rekrutieren. Klimawandel und Konflikte haben eine gefährliche Wechselwirkung. WFP setzt sprichwörtlich ganz unten an. Wenn Land und Boden wieder nutzbar werden, haben Kleinbauern ein Auskommen. Das fördert Zusammenhalt, Stabilität und beugt Konflikten vor.
Die Initiative wird von den Menschen im Sahel getragen. Wie läuft die Abstimmung mit Gemeinden und Partner-Organisationen vor Ort ab?
Ausgangspunkt für Resilienzaktivitäten in einem Dorf (oder Verbund an Dörfern) ist das Community-based participatory planning (CBPP). Wie vorher bereits erwähnt ist dies ein Planungsprozess, in dem die Gemeinden gemeinsam mit WFP und Partnern ihre Ziele für die Resilienzmaßnahmen der nächsten drei Jahr festlegen. WFP’s Partner – lokale Nichtregierungsorganisationen (NROs) – sind dabei eine wichtige Brücke zu den lokalen Gemeinden. Sie leisten unglaublich wichtige Arbeit. Sie sprechen die lokale Sprache, kennen die örtlichen Gegebenheiten und sind oftmals auch dann noch vor Ort, wenn WFP’s Mobilität eingeschränkt ist - beispielsweise aufgrund schwieriger Sicherheitslagen.
Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie haben viele afrikanische Staaten besonders hart getroffen, auch die Länder in der Sahelzone. Wie hat sich die Pandemie auf eure Arbeit ausgewirkt und konntet ihr laufende Projekte überhaupt fortsetzten?
In vielen Ländern des Sahel wurden in den ersten Phasen der Pandemie die Schulen geschlossen. Während in Deutschland vielfach auf digitalen Unterricht umgestellt wurde, war dies in weiten Teilen des ländlichen Raums im Sahel nicht möglich. Dadurch ist den Kindern unglaublich viel genommen worden – nicht nur ihr Zugang zu Bildung, sondern auch zu Schutzräumen und Schulmahlzeiten. Damit ist auch ein soziales Sicherungsnetz für Kinder und Familien weggefallen. Das waren schwierige Zeiten. An Schulen hat WFP versucht, zumindest durch Nahrungsmittelpakete, die sie mit nach Hause nehmen konnten, der drohenden Mangelernährung entgegenzuwirken.
Auch bei FFA-Maßnahmen musste WFP andere Wege finden, da die Versammlung von Gruppen an Menschen zu riskant war. Sogenannte „Homestead“-Aktivitäten wurden in dieser Zeit weiter ausgebaut – das heißt die Zusammenarbeit mit den Menschen auf Haushaltsebene, um z.B. den Gartenbau um das Haus zu verbessern, Kompost herzustellen oder einfache Latrinen zur besseren Hygiene zu bauen. Dadurch konnten einige Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf Haushaltsebene abgefedert werden. Auch durch finanzielle Unterstützung wurde dazu beigetragen, dass die Menschen nicht in eine Abwärtsspirale gerieten. Auswertungen von Projektergebnissen aus dieser Zeit legen nahe, dass die Zielgruppe der WFP-Resilienzinitiative tatsächlich besser durch die Pandemie bekommen ist als Menschen in anderen Dörfern.
Mehr Informationen und aktuelle Ergebnisse aus der Initiative finden Sie hier.