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Steigende Mangelernährung gefährdet das Leben von Kindern im Gazastreifen

Besonders gravierend ist die Situation im Norden, wo eines von sechs Kindern unter zwei Jahren akut mangelernährt ist


GENF/NEW YORK/ROME, 19. Februar 2024 - Ein steiler Anstieg der Mangelernährung bei Kindern sowie schwangeren und stillenden Frauen im Gazastreifen stellt eine ernste gesundheitliche Bedrohung dar. Dies geht aus einer umfassenden neuen Analyse hervor, die vom Global Nutrition Cluster veröffentlicht wurde

Der Konflikt im Gazastreifen geht nun in die 20. Woche. Lebensmittel und sauberes Wasser sind extrem knapp geworden, und Krankheiten sind weit verbreitet, was die Ernährung und Immunität von Frauen und Kindern beeinträchtigt und zu einem Anstieg von akuter Mangelernährung führt.

Der Bericht - Nutrition Vulnerability and Situation Analysis - Gaza - zeigt, dass die Situation im nördlichen Gazastreifen, der seit Wochen fast vollständig von der Versorgung abgeschnitten ist, besonders extrem ist. Ernährungsuntersuchungen in Unterkünften und Gesundheitszentren im Norden ergaben, dass 15,6 Prozent - oder eines von sechs Kindern unter zwei Jahren - akut mangelernährt sind. Davon leiden fast drei Prozent an schwerer Unterernährung, der lebensbedrohlichsten Form der Mangelernährung. Ohne sofortige Behandlung sind diese Kinder von medizinischer Komplikationen bis zum Tod bedroht. Da die Daten im Januar erhoben wurden, dürfte die Situation heute noch gravierender sein.

Ähnliche Untersuchungen im südlichen Gazastreifen, in Rafah, wo mehr Hilfe zur Verfügung stand, ergaben, dass 5 Prozent der Kinder unter zwei Jahren akut mangelernährt sind. Das ist ein klarer Beweis dafür, dass der Zugang zu humanitärer Hilfe notwendig ist und dazu beitragen kann, die schlimmsten Folgen zu verhindern. Es unterstreicht auch noch einmal die Forderung von Hilfsorganisationen, Rafah vor den drohenden verstärkten Militäroperationen zu schützen.

"Der Gazastreifen steht kurz vor einer Explosion vermeidbarer Todesfälle bei Kindern", sagte Ted Chaiban, stellvertretender UNICEF-Exekutivdirektor für humanitäre Maßnahmen und Versorgungseinsätze. "Wir warnen schon seit Wochen davor, dass der Gazastreifen am Rande einer Ernährungskrise steht. Wenn der Konflikt jetzt nicht beendet wird, wird sich die Ernährungslage der Kinder weiter verschlechtern, was zu vermeidbaren Todesfällen oder Gesundheitsproblemen führen wird, die die Kinder im Gazastreifen für den Rest ihres Lebens beeinträchtigen und möglicherweise generationsübergreifende Folgen haben werden."

Vor den Kämpfen der letzten Monate war akute Mangelernährung im Gazastreifen selten, nur 0,8 Prozent der Kinder unter fünf Jahren waren akut mangelernährt. Die Rate von 15,6 Prozent der mangelernährten Kinder unter zwei Jahren im nördlichen Gazastreifen deutet auf einen besorgniserregende und schnelle Verschlimmerung der Ernährungslage hin. Eine derartige Verschlechterung des Ernährungszustands einer Bevölkerung innerhalb von drei Monaten ist weltweit beispiellos.

Es besteht ein hohes Risiko, dass die Mangelernährung im gesamten Gazastreifen weiter ansteigt, da es an Nahrungsmitteln, Wasser und Gesundheitsdiensten fehlt:

  • 90 Prozent der Kinder unter zwei Jahren und 95 Prozent der schwangeren und stillenden Frauen sind von schwerer Nahrungsmittelarmut betroffen - das heißt, sie haben am Vortag zwei oder weniger Nahrungsmittelgruppen verzehrt - und die Nahrungsmittel, zu denen sie Zugang haben, haben den geringsten Nährwert.
  • 95 Prozent der Haushalte schränken Mahlzeiten und Portionsgrößen ein, wobei 64 Prozent der Haushalte nur eine Mahlzeit pro Tag zu sich nehmen.
  • Mehr als 95 Prozent der Haushalte gaben an, dass sie die Nahrungsmenge für Erwachsene eingeschränkt haben, um sicherzustellen, dass kleine Kinder etwas zu essen haben.

"Der steile Anstieg der Mangelernährung, den wir im Gazastreifen beobachten, ist gefährlich und absolut vermeidbar", sagte Valerie Guarnieri, stellvertretende Exekutivdirektorin des WFP für Nothilfe. "Vor allem Kinder und Frauen brauchen ständigen Zugang zu gesunden Nahrungsmitteln, sauberem Wasser und Gesundheits- und Ernährungsdiensten. Dafür brauchen wir entscheidende Verbesserungen bei der Sicherheit und dem Zugang für humanitäre Hilfe sowie zusätzliche Zugangsstellen für Hilfsgüter in den Gazastreifen".

Unzureichendes sauberes Trinkwasser sowie unzureichendes Wasser zum Kochen und für Hygienezwecke verschärfen die schlechte Ernährungslage. Im Durchschnitt hatten die befragten Haushalte Zugang zu weniger als einem Liter sauberem Wasser pro Person und Tag. Gemäß den humanitären Standards beträgt die Mindestmenge an sicherem Wasser, die in einer Krise benötigt wird, drei Liter pro Person und Tag, während der allgemeine Standard 15 Liter pro Person beträgt, was ausreichende Mengen zum Trinken, Waschen und Kochen umfasst.

Hungrig, durstig und geschwächt werden immer mehr Menschen im Gazastreifen krank. Dem Bericht zufolge sind mindestens 90 Prozent der Kinder unter fünf  Jahren von einer oder mehreren Infektionskrankheiten betroffen. Siebzig Prozent hatten in den letzten zwei Wochen Durchfall, eine 23-fache Zunahme im Vergleich zum Vergleichsjahr 2022.

"Hunger und Krankheit sind eine tödliche Kombination", sagte Dr. Mike Ryan, Exekutivdirektor des WHO-Programms für Gesundheitsnotfälle. "Hungrige, geschwächte und zutiefst traumatisierte Kinder werden eher krank, und kranke Kinder, insbesondere mit Durchfall, können Nährstoffe nicht gut aufnehmen. Das ist gefährlich und tragisch, und es geschieht vor unseren Augen".

Ohne weitere humanitäre Hilfe wird sich die Ernährungslage im Gazastreifen wahrscheinlich weiter rapide und in großem Umfang verschlechtern. Da die meisten Gesundheits-, Wasser- und Abwassersysteme stark geschädigt sind, müssen die noch funktionierenden Einrichtungen unbedingt geschützt und verstärkt werden, um die Ausbreitung von Krankheiten einzudämmen und eine Verschlimmerung der Mangelernährung zu verhindern.

UNICEF, WFP und WHO fordern einen sicheren, ungehinderten und dauerhaften Zugang zur dringenden Bereitstellung sektorübergreifender humanitärer Hilfe im gesamten Gazastreifen. Dazu gehören nahrhafte Lebensmittel, Nahrungsmittellieferungen und wichtige Dienstleistungen für unterernährte und gefährdete Kinder und Frauen, die einen sicheren Zugang zu Gesundheits- und Ernährungsversorgung und Behandlungsdiensten benötigen, insbesondere für Säuglinge und Kleinkinder unter fünf Jahren. Krankenhäuser und medizinisches Personal müssen vor Angriffen geschützt werden, damit sie wichtige Behandlungen und Pflegeleistungen sicher erbringen können. Ein sofortiger humanitärer Waffenstillstand bietet weiterhin die beste Chance, Leben zu retten und das Leiden zu beenden.

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Hinweis für Journalist*innen

Aufgrund von Sicherheits- und Zugangsproblemen im gesamten Gazastreifen ist es nahezu unmöglich, anthropometrische Daten zu erheben, um den Grad der akuten Mangelernährung zu messen. Die Erhebung anthropometrischer Daten (MUAC) war nur in zwei Gebieten (Nord-Gaza und Rafah) bei Kindern unter zwei Jahren möglich. Im Bericht wurde daher eine innovative Analysemethode angewandt, um diese Daten zu untermauern und festzustellen, dass die akute Mangelernährung im gesamten Gazastreifen zunimmt. Mit dieser Methode wurden Daten zu den Ursachen der Mangelernährung - Mangel an Nahrungsmitteln, Krankheitsraten, fehlender Zugang zu sauberem Wasser und fehlende Gesundheitsdienste - analysiert, die über Telefon- und SMS-Fragebögen erhoben wurden. Aus der Analyse der Hauptursachen können wir schließen, dass die akute Mangelernährung im gesamten Gazastreifen rasch zunimmt.

Zum Bericht: https://www.nutritioncluster.net/resources/nutrition-vulnerability-and-…

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