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WFP-Exekutivdirektor warnt vor riesiger Gefahr der wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus, die Millionen tiefer in den Hunger treiben

Mitschrift des Statements von David Beasley, Exekutivdirektor des UN World Food Programmes (WFP), bei der virtuellen Sitzung des UN-Sicherheitsrates zum Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten (Segment über Hungerrisiken in der Demokratischen Republik Kongo, im Jemen, in Nordost-Nigeria und im Südsudan)

NEW YORK – Vor fünf Monaten habe ich den Sicherheitsrat davor gewarnt, dass die Welt am Rande einer Hungerpandemie steht. Eine giftige Mischung aus Konflikten, Klimawandel und COVID-19 drohte 270 Millionen Menschen an den Rand des Hungertods zu treiben. Die Hungersnot war real. Sie ist erschreckend wahrscheinlich in bis zu drei Dutzend Ländern, wenn wir nicht weiter so helfen, wie wir es getan haben.

Zum Glück hat die Welt, seit wir im April darüber gesprochen haben, wirklich zugehört. Die Geber, die führenden Köpfe in der ganzen Welt haben reagiert, sie haben gehandelt. Große und kleine Länder ergriffen außerordentliche Maßnahmen, um das Leben ihrer Bürger*innen zu schützen und ihre Wirtschaft zu unterstützen – und gaben 17 Billionen US-Dollar für fiskalische Anreize und Unterstützung durch Zentralbanken aus. Der IWF und die G20-Nationen setzten einen Rettungsanker für die ärmsten Ländern, indem sie die Schuldenrückzahlungen aussetzten. Das hatte eine enorme Wirkung. Geber stockten ihre Vorfinanzierung auf, so dass wir Nahrungsmittel vorpositionieren und Hilfsgüter früher transportieren konnten, und sie unterstützten uns mit zusätzlichen lebensrettenden Dollars. Mit der Hilfe unserer Geber startete die globale humanitäre Gemeinschaft einen gewaltigen und beispiellosen weltweiten Kampf gegen das Coronavirus.  

Gemeinsam mit unseren Partnern setzt WFP alles daran, in diesem Jahr bis zu 138 Millionen Menschen zu erreichen – das ist die größte Ausweitung unsere Hilfe in unserer Geschichte. Bereits in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 haben wir 85 Millionen Menschen erreicht. 

WFP tut das, was wir am besten können – die Hilfe anpassen und innovativ erneuern, um den einzigartigen Anforderungen der Pandemie gerecht zu werden. Wir lancieren neue Nahrungsmittel- und Bargeldprogramme, um Hungernde in städtischen Gebieten zu unterstützen. Wir unterstützen über 50 Regierungen beim Ausbau ihrer Sicherheitsnetze und Sozialschutzprogramme für die Bedürftigsten. Wir versorgen Millionen von Schulkindern mit nahrhaftem Essen, die während der Lockdowns die Schule nicht besuchen können. 

Jeden Tag gelingt es uns – dank Ihnen – Menschen am Leben zu erhalten und eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Aber wir sind noch nicht aus dem Gröbsten heraus. Dieser Kampf ist noch lange nicht vorbei – die 270 Millionen Menschen, die in Richtung Hungertod marschieren, brauchen unsere Hilfe jetzt mehr denn je. 

Wir tun so ziemlich alles, was wir tun können, damit der Damm nicht bricht. Aber ohne die Ressourcen, die wir brauchen, droht weiterhin eine Welle des Hungers und der Hungersnöte über den Globus zu schwappen. Und wenn sie das tut, wird sie Nationen und Gemeinschaften unter sich begraben, die bereits durch jahrelange Konflikte und Instabilität geschwächt sind. 

Dieser Rat traf eine historische Entscheidung, als er die Resolution 2417 verabschiedete und die menschlichen Kosten des Konflikts verurteilte, die durch Leid und Hunger bezahlt werden. In der Resolution wurden wirksame Frühwarnsysteme gefordert und wieder einmal bin ich mit meinen Kollegen hier, um Alarm zu schlagen. 

Exzellenzen, die durch den Konflikt verursachte und nun durch COVID-19 verschärfte globale Hungerkrise tritt in eine neue und gefährliche Phase ein – vor allem in Nationen, die bereits unter Gewalt leiden. Die Gefahr einer Hungersnot droht erneut, deshalb müssen wir jetzt mehr tun und nicht weniger. Offen gestanden wird 2021 ein Jahr, in dem es um alles oder nichts geht. 

Finanziell gesehen war 2020 ein Rekordjahr für WFP. Wir haben zum ersten Mal 8 Milliarden US-Dollar überschritten – aber unser Budget wurde schon vor der Pandemie festgelegt. Die Wirtschaft war stark. Rücklagen-/Notfallfonds waren verfügbar. Aber jetzt mache ich mir wirklich Sorgen darüber, was im nächsten Jahr passieren wird. Ich weiß, dass Ihre Regierungen Milliarden für Konjunkturpakete im eigenen Land ausgeben. Die nationalen Haushalte sind knapp, und die Reserven werden knapp, wenn sie nicht schon ausgegangen sind. Und die Volkswirtschaften schrumpfen. Aber ich fordere Sie dringend auf, nicht von unserem Engagement für humanitäre Hilfe abzuweichen. Kehren Sie den hungrigsten Menschen der Welt nicht den Rücken. 

Als COVID-19 die Länder überall zu Lockdowns zwang, wurden umgerechnet 400 Millionen Vollzeitarbeitsplätze vernichtet und Rücküberweisungen aus dem Ausland brachen ein. Die Auswirkungen haben die 2 Milliarden Menschen, die weltweit in der informellen Wirtschaft arbeiten – hauptsächlich in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen – am härtesten getroffen. Sie sind oft nur einen Tag Arbeit davon entfernt, Hunger zu leiden, sie leben mit anderen Worten von der Hand in den Mund. Sie und ich haben Essen in der Speisekammer während eines Lockdowns. Wir haben genug Essen für zwei oder drei Wochen. Diese Menschen haben diesen Luxus nicht. Wenn ihnen ein Tageslohn fehlt, dann fehlt ihnen an dem Tag auch das Geld für Essen und ihre Kinder leiden. Sie haben kein Geld, um ihr tägliches Brot zu kaufen. Dadurch entsteht unweigerlich das Risiko steigender sozialer Spannungen und Instabilität. 

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir vernünftige Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus mit der Notwendigkeit in Einklang bringen, die Grenzen offen zu halten und Lieferketten und Handelsströme aufrechtzuerhalten. Wir müssen auch wachsam sein und uns vor unbeabsichtigten Folgen schützen, die die ärmsten Menschen am härtesten treffen könnten. In der Tat arbeiten wir in den etwa 80 Ländern, in denen wir helfen, buchstäblich stündlich mit den Präsident*innen, Premierminister*innen und Regierungsminister*innen zusammen, wenn es um Fragen geht, die Quarantäne- und Lockdownmaßnahmen aufwerfen und Verteilungspunkte betreffen. Wir alle lernen daraus und machen Fortschritte. 

Aber lassen Sie mich nur ein paar Beispiele nennen, denn viele Menschen dachten, dass das Virus in Afrika noch tödlicher sein würde. Dabei hat es definitiv Auswirkungen auf Afrika. Wir sind noch nicht aus dem Gröbsten raus. Die gute Nachricht ist, dass es nicht so tödlich ist wie befürchtete, aber es ist auf eine andere Weise verheerend. So hat zum Beispiel die London School of Health and Tropical Medicine die Schließung von Impfkliniken in Afrika während der Lockdowns analysiert. Sie errechnete, dass für jeden verhinderten COVID-19-Tod bis zu 80 Kinder aufgrund fehlender Routineimpfungen sterben könnten. 

Es besteht die große Gefahr, dass vor allem in Afrika viel mehr Menschen an den weitreichenderen wirtschaftlichen und sozialen Folgen von COVID-19 als am Virus selbst sterben werden. Und das Letzte, was wir brauchen, ist ein Heilmittel, das schlimmer ist als die Krankheit selbst. 

Ihre kontinuierliche Unterstützung für humanitäre Programme ist im Augenblick von entscheidender Bedeutung. Es geht um Leben und Tod – buchstäblich. Für Millionen von Menschen in den Ländern, die heute diskutiert werden. Und für viele weitere Millionen in den anderen Ländern, die dem Hungertod immer näher rücken. Wir wissen, dass bereits jetzt 30 Millionen Menschen gibt, deren Überleben allein von WFP abhängt. Das ist das einzige Essen, das sie bekommen. Wenn sie die von uns bereitgestellten Nahrungsmittel nicht bekommen, sterben sie. 

Ich möchte mich nun den Ländern widmen, die heute auf der Tagesordnung stehen. In der DEMOKRATISCHEN REPUBLIK KONGO hatten Konflikte und Instabilität bereits 15,5 Millionen Menschen in Krisenlevels des Hungers getrieben. Das sind Menschen, die am Rande des Hungers stehen. Die jüngste Analyse deutet darauf hin, dass das Wiederaufflammen der Gewalt in Verbindung mit COVID-19 dazu geführt hat, dass die Zahl der Betroffenen um 6,5 Millionen auf fast 22 Millionen angestiegen ist. Und ich muss Sie warnen, dass diese Berechnungen davon ausgehen, dass WFP in der Lage ist, das derzeitige Niveau der Ernährungshilfe aufrechtzuerhalten. Wenn wir gezwungen sind, unsere Hilfe zurückzufahren, sind die Aussichten noch schlechter. 

Im JEMEN geht die schlimmste Katastrophe der Welt, das schlimmste humanitäre Desaster weiter…jahrelanger konfliktbedingter Hunger und jetzt die COVID-19 Pandemie. 20 Millionen Menschen befinden sich durch Krieg, eine kollabierte Wirtschaft und rasende Inflation, erdrückend hohe Nahrungsmittelpreise und zerstörte öffentliche Infrastruktur in der Krise. Wir glauben, dass weitere 3 Millionen Menschen durch das Virus vor dem Hungertod stehen könnten. 

Weil die Mittel fehlen, erhalten derzeit 8,5 Millionen Bedürftige, die wir im Jemen unterstützen, nur noch jeden zweiten Monat Hilfe. Wir sehen uns dazu gezwungen, auch die Rationen für die verbleibenden 4,5 Millionen Menschen im Dezember zu kürzen, wenn wir nicht mehr Finanzierung erhalten. Sie können sich nur vorstellen, welche Auswirkungen das auf die jemenitische Bevölkerung haben wird.

Die Entscheidung der Ansar Allah, den Internationalen Flughafen in Sana’a zu schließen, hat eine ohnehin schon unmögliche Situation weiter verschlimmert. Als einziger Flughafen im Norden des Jemen ist er ein wichtiger Zugangspunkt für humanitäres Personal. Dass Menschen nicht mehr aus- und einreisen können, behindert unsere Bemühungen, eine Hungersnot abzuwenden. 

Die Alarmglocken im Jemen läuten laut und deutlich und die Welt muss die Augen für die verzweifelte Notlage des jemenitischen Volkes öffnen, bevor es zu einer Hungersnot kommt. Diese Hungersnot entfaltet sich direkt vor unseren Augen. 

NIGERIA: COVID-19 treibt noch mehr Menschen in den Hunger. Analysen zeigen, dass die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus das Einkommen in 80% der Haushalte verringern. Sie können sich die Verwüstung allein dadurch vorstellen.  

Im Nordosten des Landes haben 4,3 Millionen Menschen nicht genügend zu essen – bis zu 600.000 von ihnen größtenteils aufgrund von COVID-19. Währenddessen erhöhte sich die Zahl der Hungernden im Stadtgebiet von Kano während des Lockdowns von März bis Juni von 568.000 auf 1.5 Millionen Menschen – ein Anstieg von einer Million Menschen. Das ist sehr beunruhigend.  

SÜDSUDAN: Hier sind die Aussichten ähnlich besorgniserregend. Bereits vor Pandemie wurde erwartet, dass 6,5 Millionen Menschen auf dem Höhepunkt der sogenannten „Hungersaision“ – der Zeit zwischen dem Verbrauch der letzten und der neuen Ernte – schweren Hunger leiden werden, was durch die Gewalt in Jonglei innerhalb der letzten Monate noch verschärft wurde. Dies hat zur Vertreibung von Zehntausenden von Zivilist*innen, einer großen Zahl entführter Frauen und Kinder und zum weitreichenden Verlust von Vieh und Lebensgrundlagen geführt. Darüber hinaus könnten durch Ausbrüche des Virus in städtischen Gebieten wie Juba weitere 1,6 Millionen Menschen zu verhungern drohen.  

Obwohl es nicht auf der heutigen Tagesordnung steht, möchte ich abschließend auch die Katastrophe, die sich in Burkina Faso abspielt, hervorheben. Sie ist durch den Ausbruch von Gewalt angetrieben. Die Zahl der akut Hungernden hat sich auf 3,3 Millionen Menschen verdreifacht während COVID-19 die Situation weiter verschlimmert…Vertreibung, Probleme im Zugang und der Sicherheit. 11.000 Menschen in den nördlichen Provinzen droht während wir hier sprechen eine Hungersnot. 

Exzellenzen, wir wissen, was wir tun müssen. Wir haben große Fortschritte gemacht, frühe Anzeichen von Hungersnöten zu erkennen und ihre Ursachen und Folgen zu verstehen. Aber tragischerweise haben wir diese Geschichte schon zu oft erlebt. Die Welt wartet ab, bis es zu spät ist, während Hunger tötet, Spannungen innerhalb Gemeinschaften anfacht, Konflikte und Instabilität schürt und Familien aus ihrer Heimat vertreibt. 

Erst kürzlich habe ich erfahren, dass hungernde Familien in Lateinamerika begonnen haben, weiße Fahnen aus ihren Häusern zu hängen, um zu zeigen, dass sie Hilfe brauchen. Und es sind viele: 17,1 Millionen Menschen leiden heute schweren Hunger, verglichen mit 4,5 Millionen vor nur sechs oder sieben Monaten. 

Eine weiße Fahne ist das Zeichen der Kapitulation – des Aufgebens. Aber wir KÖNNEN und DÜRFEN nicht aufgeben oder uns einreden, dass wir nichts tun können, denn Millionen Menschen auf der ganzen Welt brauchen dringend unsere Hilfe. 

Die Wahrheit ist, dass wir alle keine Ausreden dafür haben, nicht schnell und entscheidend zu helfen während Kinder, Frauen und Männer verhungern. Heute, als humanitäre Helfer, sind wir hier, um Sie vor dem Druck zu warnen, der von Konflikten und COVID-19 ausgeht. Wir müssen handeln, und wir müssen handeln, bevor der Damm bricht. 

Aber es gibt Hoffnung inmitten des Chaos. Wir haben letzte Woche ein paar Lichtblicke gesehen. Die Friedensabkommen, die in den letzten Wochen im Sudan und im Nahen Osten unterzeichnet wurden, geben Anlass zur Hoffnung, denn Frieden ist der Schlüssel für all das. Und darum geht es in der Resolution 2417.  

Und deshalb brauchen wir jede Unterstützung. Herr Präsident, die Regierungen sitzen in der Klemme, die Menschen sind finanziell angeschlagen. Es ist an der Zeit, dass sich der Privatsektor einsetzt. 

Ehrlich gesagt, fragen Sie sich jetzt vielleicht, warum ich das im Sicherheitsrat anspreche. Aber ich werde jede Möglichkeit nutzen, um Alarm zu schlagen, bevor es zu spät ist. 

Wir brauchen 4,9 Milliarden US-Dollar, um all die 30 Millionen Menschen ein Jahr lang zu ernähren, die ohne die Hilfe von WFP sterben würden. 

Es gibt weltweit über 2.000 Milliardäre, mit einem Nettovermögen von 8 Billionen US-Dollar. In meinem Heimatland, den USA, gibt es allein 12 Personen mit einem Nettovermögen von 1 Billion US-Dollar. Tatsächlich gibt es Berichte, dass drei von ihnen während COVID-19 Milliarden und Abermilliarden verdient haben! Ich haben nichts dagegen, dass Menschen Geld verdienen, aber die Menschheit steht vor der größten Krise, die wir in unserem Leben gesehen haben. 

Es ist an der Zeit, dass diejenigen, die am meisten besitzen vortreten und denen helfen, die in dieser außergewöhnlichen Zeit in der Weltgeschichte am wenigsten haben. Um zu zeigen, dass Sie Ihre Nächsten wirklich lieben. Die Welt braucht Sie und es ist jetzt an der Zeit, das Richtige zu tun. 

 

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Das UN World Food Programme (WFP) ist die weltweit größte humanitäre Organisation. WFP rettet Leben in Notfällen und schafft Grundlagen für eine nachhaltige Zukunft für Menschen, die von Konflikten, Katastrophen und den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind.

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