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Hungerkrise in Somalia: Flucht, Dürre und Hoffnung

Wie Konflikte und Extremwetter Millionen Menschen vertreiben und eine akute Ernährungskrise im Land am Horn von Afrika auslösen
, Sara Cuevas Gallardo
Farhia Ali holds her 16-month-old daughter Ruqiya at a Mogadishu health clinic, where the youngster was tested for malnutrition. Photo: WFP/Sara Cuevas Gallardo
Farhia Ali und ihre Tochter Ruqiya in einer Krankenstation in Mogadischu. Die Familie gehört zu den vielen Vertriebenen, die in Somalias Hauptstadt und anderen städtischen Gebieten Zuflucht suchen. Bild: WFP/Sara Cuevas Gallardo

Die engen Straßen von Mogadischu sind überfüllt: Autos, Eselskarren und dreirädrige Tuk-Tuks kämpfen sich durch schlammige Kanäle, die von unerwartet heftigen Regenfällen in die Fahrbahn gegraben wurden.

Somalias unberechenbares Wetter hat wieder zugeschlagen. Die Regenzeit brachte im Mai sintflutartige und tödliche Niederschläge, die in der Hauptstadt Häuser und Infrastruktur zerstörten.

Doch die bevorstehende Trockenzeit birgt noch größere Gefahren. Mehrere schwere Dürren der letzten Jahre haben Millionen Menschen wie Farhia Ali gezwungen, alles hinter sich zu lassen – auf der Suche nach Nahrung und Sicherheit in Städten wie Mogadischu.

„Unser Leben ist gerade ein einziges Chaos“, sagt Farhia Ali, die im Januar mit ihrer Familie ihre Farm in Jowhar im südlichen Zentral-Somalia verlassen hat. Heute lebt sie in einem Lager für Vertriebene in der Hauptstadt. „Ein völliges Chaos.“

A displaced Somali family and their family walking down a sandy path. They count among 3.9 million people on the move. Photo: WFP/Petroc Wilton
Konflikte und Wetterextreme haben 3,9 Millionen Menschen in Somalia entwurzelt und den Hunger verschlimmert. Foto: WFP/Petroc Wilton

Somalia ist ein Land in Bewegung – nicht mehr nur wegen seiner nomadischen Tradition. Konflikte, Unsicherheit und Wetterextreme haben 3,9 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen und den Hunger drastisch verschärft – eine Entwicklung, die sich in den kommenden Monaten noch zuspitzen könnte.

Laut der jüngsten Analyse der integrierten Ernährungssicherheitsklassifikation (IPC) könnten bis Ende Juni 4,6 Millionen Menschen – darunter 1,8 Millionen Kinder unter fünf Jahren – von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sein. Nahezu 40 Prozent von ihnen – etwa 1,7 Millionen – sind Binnenvertriebene. Gleichzeitig musste das UN-Welternährungsprogramm (WFP) seine Hilfe wegen fehlender Finanzierung stark kürzen.

„Wir machen uns große Sorgen, dass Hunger und Mangelernährung anhalten oder sich sogar verschlimmern“, sagt Laksiri Nanayakkara, Leiter des Analyse-Teams bei WFP Somalia. Viele Gemeinschaften leiden noch immer unter den Folgen der Dürre von 2021 bis 2023 – der schlimmsten seit 40 Jahren. „Sogar Menschen, die bisher keinen Hunger litten, könnten nun in Not geraten“, so Nanayakkara weiter.

Gescheiterte Ernten, zerstörte Existenzen
Farhia Ali holds her small daughter at she await treatment at a Mogadishu health centre. Photo: Sara Cuevas Gallardo
Farhia Ali und ihre Familie besaßen einst einen wohlhabenden Bauernhof, waren aber gezwungen, ihn zu verlassen, als ihre Ernten aufgrund einer lähmenden Dürre ausfielen. Bild: WFP/Sara Cuevas Gallardo

Im Gesundheitszentrum von Mogadischu wartet Farhia Ali mit ihrer 16 Monate alten Tochter Ruqiya auf Nahrungshilfe. Sie erzählt von der schweren Entscheidung, ihre Heimat zu verlassen – einem von vielen Fluchtwegen quer durchs Land: zu Fuß, unter brennender Sonne, mit kaum Wasser und Nahrung. Eine Reise mit Kontrollpunkten, Nächten unter freiem Himmel und Begegnungen mit anderen Familien, die ebenfalls Richtung Stadt fliehen.

Einst bewirtschaftete Farhias Familie eine ertragreiche Farm, die seit Generationen weitergegeben wurde – mit Feldern voller Sorghum, Mais und Bohnen. In guten Jahren konnten sie die Hälfte der Ernte verkaufen, der Rest reichte für den Eigenbedarf.

„Ohne eigene Farm kann man dort nicht überleben“, sagt Farhia und zeigt ihre von harter Arbeit gezeichneten Hände. „Wenn es keine Dürre gibt, reicht das Essen lange. Aber letztes Jahr war die Ernte katastrophal.“

Farhia Ali shows her work-calloused hands to a visitor - the result of years of tilling the land. Photo: WFP/Sara Cuevas Gallardo
Farhia Ali zeigt einem Besucher ihre von der Arbeit geschwollenen Hände - das Ergebnis jahrelanger Arbeit auf dem Land. Foto: WFP/Sara Cuevas Gallardo

Zwei ausgefallene Ernten im Jahr 2024 setzten ihrer Familie schwer zu. Mit dem Ernteausfall kamen Hunger und Perspektivlosigkeit – und erstmals auch die Notwendigkeit, humanitäre Hilfe in Anspruch zu nehmen, wie viele andere Bäuerinnen und Hirten. Dürren, Konflikte und Überschwemmungen könnten laut Prognosen allein bis Ende Juni weitere 230.000 Menschen zur Flucht zwingen – viele von ihnen in den Großraum Mogadischu.

„Farhia und ihre Familie hatten früher Zugang zu vielfältiger und nahrhafter Nahrung von ihrer eigenen Farm“, sagt Faisal Ali, Ernährungsexperte beim WFP Somalia. „Für Familien wie ihre ist schon eine ausgefallene Regenzeit ein harter Schlag – was passiert erst nach mehreren in Folge?“

Im Januar machten sich Farhia, ihr Mann und ihre vier Kinder – zwischen 16 Monaten und 13 Jahren – auf den 100 Kilometer langen Weg nach Mogadischu. Zwei Ziegen nahmen sie mit. Nach drei Tagen Fußmarsch und gelegentlichen Mitfahrgelegenheiten erreichten sie ihr Ziel – erschöpft und verängstigt.

„Auf der Straße hat man Angst“, erinnert sich Farhia. „Aber wir konnten nicht schnell gehen – wegen der Kinder.“

Zerbrechliche Zuflucht
Tents line a dusty road at a displacement camp in the southwestern Somali town of Baidoa. Photo: WFP/Sara Cuevas Gallardo
Zelte säumen eine staubige Straße in einem Vertriebenenlager in der südwestsomalischen Stadt Baidoa. Foto: WFP/Sara Cuevas Gallardo

In Mogadischu fand die Familie Unterschlupf in der Siedlung Dayaab am Stadtrand. Doch das Leben bleibt unsicher: Eines ihrer Kinder ist inzwischen gestorben. Heute lebt die Familie von den zwei bis drei US-Dollar, die Farhias Mann als Träger verdient – gerade genug für eine Mahlzeit am Tag.

Als im Mai der Regen kam, drang Wasser in ihr notdürftiges Zelt aus orangefarbener Plastikplane ein und spülte ihre wenigen Habseligkeiten fort. „Es ist extrem hart“, sagt Farhia über ihr jetziges Leben. „Ich konnte meine Kinder in dieser Nacht nicht einmal schlafen legen.“

Früher hatten somalische Familien wie ihre kaum Sicherheitsnetze – heute bleiben ihnen noch weniger Optionen. Aufgrund fehlender Mittel musste das WFP die Zahl der Menschen, die regelmäßig Nahrungsmittelhilfe erhalten, von 2,2 Millionen im letzten Jahr auf nur noch 820.000 reduzieren – also auf weniger als 18 Prozent der akut Hungernden.

Auch andere Hilfsorganisationen stoßen an ihre Grenzen. „Die Finanzierungskürzungen haben unsere Möglichkeiten massiv eingeschränkt – sowohl bei der humanitären Hilfe als auch bei der Unterstützung von Vertriebenen und langfristigen Lösungen“, sagt Manuel Marques Pereira, Leiter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Somalia. In den über 900 unterstützten Lagern verschärfen sich die Bedingungen: „Wir sehen einen drohenden Zusammenbruch grundlegender Dienste und sozialer Strukturen.“

Ali holds her daughter Ruqiya, as a health worker measures her mid-upper arm circumference with a special band. It shows she's nearing severe malnutrition. Photo: WFP/Sara Cuevas Gallardo
Ali hält ihre Tochter Ruqiya im Arm, während eine Gesundheitshelferin ihren mittleren Oberarmumfang mit einem speziellen Band misst. Es zeigt, dass sie kurz vor einer schweren Unterernährung steht. Foto: WFP/Sara Cuevas Gallardo

Im Gesundheitszentrum wird bei der kleinen Ruqiya Mangelernährung festgestellt. Sie erhält spezielle, nährstoffreiche Lebensmittel vom WFP. Farhia hält ihre Tochter im Arm, während ihre andere Tochter weinend nach Essen fragt. Gemeinsam machen sie sich auf den Rückweg durch den Schlamm – in ein Zuhause, das kaum Schutz bietet.

„Ich hoffe, wir können auf unsere Farm zurückkehren“, sagt Farhia. „Inshallah – so Gott will.“


Unterstützt von internationalen Partnern

Die Ernährungshilfe des WFP für Vertriebene in Somalia wird ermöglicht durch Beiträge der Afrikanischen Entwicklungsbank, Österreichs, Kanadas, Dänemarks, der Europäischen Union, der Bundesregierung Somalias, Frankreichs, Deutschlands, des Global Agriculture and Food Security Programme (GAFSP), Japans, der Republik Korea, Saudi-Arabiens, Spaniens, Schwedens, des CERF, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika.

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