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Konflikt und Hunger — Blick zurück, Blick nach vorn

Wie werden Hunger, Frieden und Sicherheit in der Welt nach COVID-19 zusammenspielen? Drei UN-Experten diskutieren die Bedeutung der Resolution 2417 des UN-Sicherheitsrats.
, WFP Deutsch

Am 24. Mai jährt sich zum zweiten Mal der Tag, an dem der UN-Sicherheitsrat einstimmig die Resolution 2417 verabschiedete. Die einzigartige Resolution erkennt erstmals den Zusammenhang zwischen Konflikt und Hunger an und verurteilt den Einsatz von Hunger als Kriegswaffe. Zwei Jahre später denken wir über ihre Bedeutung und über die Auswirkungen nach, die die Coronavirus-Pandemie auf Frieden und Sicherheit weltweit haben könnte.

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Noch 2017 war Somalia eines von vier Ländern, in denen eine Hungersnot drohte. Fast 3 Millionen Menschen hatten nicht genug zu essen und 3,3 Millionen waren auf Unterstützung zum Lebensunterhalt angewiesen. Foto: WFP/Karel Prinsloo

„Die Resolution 2417 griff einen schrecklichen Momente in der Geschichte auf und hob ihn hervor, bis er eine kristallisierende Wirkung hatte", sagt Brian Lander, stellvertretender Büroleiter des UN World Food Programme (WFP) in Genf. Er verweist auf die Tatsache, dass im Jahr 2017 in vier Ländern rund 20 Millionen Menschen am Rande einer Hungersnot standen: Nigeria, Somalia, Südsudan und Jemen. In allen vier Länder herrschte Konflikt.

Aushungern wurde als „die billigste Massenvernichtungswaffe, über die Armeen verfügen" bezeichnet — billig und leicht umzusetzen. „Sogar eine vorübergehende gewaltsame Unterbrechung der Lebens- und Einkommensgrundlagen, präzise und gezielt eingesetzt, kann langanhaltende Not auslösen. Wenn zum Beispiel nicht rechtzeitig gepflanzt oder geerntet werden kann, ist es schnell zu spät. Wenn das Vieh nicht auf die Weide oder zum Tränken gebracht werden kann, überlebt es möglicherweise nicht", sagt Matthew Hollingworth, WFP-Landesdirektor im Südsudan, der von vor Ort in Juba am Gespräch teilnimmt. „Daher kann ein kleiner, gut geplanter, taktischer Angriff in vielen Fällen die gleiche Wirkung haben wie eine groß angelegte Strategie der verbrannten Erde. In beiden Fällen ist der Hunger als Folge der Gewalt entsetzlich, unabhängig davon, ob die Mittel, mit denen er erreicht wurde, klein oder groß waren."

„Natürlich war das Aushungern bereits durch die Genfer Konventionen verboten", sagt Brian Lander. „Aber hier wurde zum ersten Mal von der höchsten Instanz der Welt anerkannt, dass Hunger und Konflikt kohärent angegangen werden müssen und dass Hunger als Kriegswaffe nicht akzeptabel ist."

Sigrún Rawet, stellvertretende Direktorin des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (SIPRI), war Leiterin des Bereichs humanitäre Hilfe und Entwicklung an der Ständigen Vertretung Schwedens bei den Vereinten Nationen in New York — genau zu der Zeit, als ihr Land 2017–18 als nicht-ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats diente. Sie erinnert sich an die Entstehungsgeschichte der Resolution. „Wir wollten das Beste aus der zweijährigen Amtszeit Schwedens im Sicherheitsrat machen und wir wollten die Konfliktprävention in den Mittelpunkt stellen. Aber das ist manchmal leichter gesagt als getan", sagt sie.

„Es gab Spannungen zwischen Ländern wie Schweden, weil unserer Meinung nach der Sicherheitsrat auch umfassendere Sicherheitsfragen bei der Konfliktprävention aufgreifen sollte — wie Klima, Gender, Hunger und Wasser — und anderen, die der Meinung waren, dass er sich nur mit traditionelleren, militärischen Aspekten von Konflikten befassen sollte."

Infolgedessen dauerte es fünf Monate, bis die Resolution Erfolg hatte — „eine ziemlich lange Zeit", sagt Rawet.

„Diese Resolution stellte die bedürftigsten Menschen in den Mittelpunkt der Tagesordnung des Sicherheitsrates, was leider nicht immer der Fall ist."

Der Aufbau einer starken und breiten Koalition an Unterstützern — mit den Niederlanden, der Côte d'Ivoire und Kuwait als Co-Sponsoren und Peru als Unterstützer während des gesamten Prozesses — erwies sich als entscheidend. „Es gab heikle Themen, aber wir hatten gute Diskussionen und am Ende waren wir sehr froh, dass diese Resolution die bedürftigsten Menschen in den Mittelpunkt der Tagesordnung des Sicherheitsrates stellte, was leider nicht immer der Fall ist."

Der Resolution gerecht werden

Alle sind sich über die symbolische Bedeutung der Resolution einig — provokant fragen wir allerdings, ob das schon alles ist.

„Ich glaube, es gab eine Reihe von Entwicklungen, die auf dem aufbauen, was in der Resolution 2417 festgelegt wurde", sagt Lander. Er verweist auf die Untersuchungskommissionen, die den Einsatz von Aushungern als Kriegstaktik in bestimmten Fällen untersuchen solle und auf das wachsende Engagement des UN-Menschenrechtsrates und des Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung in Konflikt- und Hungerfragen. Außerdem hätte jüngst der Internationale Strafgerichtshof seine Zuständigkeit auf den Einsatz von Aushungern in innerstaatlichen Konflikten ausgedehnt. „Ich sehe die Änderung der Statuten des Internationalen Strafgerichtshofs als eine direkte Folge der Resolution", fügt er hinzu. „Und das ist ein weiteres starkes Signal, dass diese Art von Taktik — ob es sich nun um eine Belagerung oder eine Blockade handelt — inakzeptabel ist. Egal in welchem Kontext."

Hollingworth stimmt dem zu: „Die Resolution hat der UN und ihren Mitgliedsstaaten ein Mittel an die Hand gegeben, regelmäßig Vorwürfe zu untersuchen und Bericht zu erstatten. Nicht nur in Fällen, in denen Hunger als Kriegswaffe eingesetzt wurde, sondern auch über die nuanciertere Verpflichtung, Ernährungssysteme zu schützen und sicherzustellen, dass die Märkte funktionieren können, damit Zivilisten nicht aufgrund von Marktstörungen gewaltsam vertrieben werden."

„Ist die Resolution relevant? Auf jeden Fall. Unsere Herausforderung besteht nun darin, sie auch signifikant zu machen."

„Wenn wir also fragen ,Ist die Resolution 2417 in Konfliktsituationen relevant?‘, lautet die Antwort: Auf jeden Fall. Die schwierigere Frage ist: Ist sie signifikant? Unsere Herausforderung besteht jetzt darin, sie noch bedeutender zu machen", fügt er hinzu. Dabei helfen könnten drei Dinge: Die Ernennung eines UN-Sonderberichterstatters zur Unterstützung der Umsetzung der Resolution, eine Sondermaßnahme des UN-Generalsekretärs zur Festlegung der Rolle der Vereinten Nationen bei der Überwachung der Resolution und die Aufnahme der Resolution in die zivilen und militärischen Richtlinien und Schulungen für staatliche und nichtstaatliche Kämpfer*innen

„Das braucht Zeit", stellt Hollingworth fest, und die Frage steht im Raum, ob die COVID-19-Pandemie den Fortschritt untergraben könnte.

Frieden und Sicherheit in der Welt nach Corona

„Ich glaube, es besteht die reale Gefahr, dass wir ein Stück zurückgeworfen werden", sagt Lander. „COVID-19 zieht die meiste Aufmerksamkeit von Themen ab, die vielleicht ebenso besorgniserregend, aber vielleicht nicht so unmittelbar sind. Es ist also in gewisser Weise eine leichte Tarnung. Die Reaktion auf die Pandemie gibt den Regierungen einen Freibrief, die Menschenrechte auf lokaler Ebene zu untergraben und Maßnahmen und Beschränkungen für den Zugang zu Märkten und anderen Dingen einzuführen, die leicht auf Minderheiten oder Gruppen abzielen könnten, die isoliert werden sollen."

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Die durch den Konflikt im Nordwesten Syriens vertriebenen Menschen sind auf grenzüberschreitende Hilfe aus der Türkei angewiesen. Die Pandemie könnte den Zugang zu ihrer einzigen Lebensader abschneiden. Foto: WFP/Fadi Halabi

Im Mittelpunkt der Arbeit von SIPRI steht die globale Sicherheit. Sigrún Rawet beobachtet die gleichen Entwicklungen und teilt Landers Sorgen. „Die Tatsache, dass COVID-19 die Zahl der Menschen, die unter akutem Hunger leiden, voraussichtlich verdoppeln wird — was der WFP-Exekutivdirektor als Hungerpandemie bezeichnete — zeigt das Ausmaß der Bedrohung", sagt sie. „Die kumulativen Auswirkungen des Coronavirus und seine wirtschaftlichen Folgen, einschließlich des Einkommensverlusts aufgrund von Lockdowns, bereiten uns Sorgen über eine mögliche Zunahme der Spannungen innerhalb der Gesellschaften — und das nicht nur in jenen, die wir traditionell als ‘fragil' bezeichnen. Wir wissen aus der Geschichte, dass ein Anstieg der Nahrungsmittelpreise zu Instabilität und Unruhen führen kann, und mit der Aufhebung von Ausgangssperren werden Kriminalität und Gewalt wahrscheinlich zunehmen", warnt sie. „Da die Bedürftigsten von COVID-19 am stärksten betroffen sind, treten wir jetzt in eine sehr schwierige Phase ein", warnt sie. Der Schutz der Schutzbedürftigsten wird auch ein wichtiger Bereich der strategischen Partnerschaft zwischen SIPRI und WFP über die komplexe Beziehung zwischen Hunger und Konflikt sein.

Afrikanische Länder, die bereits jetzt mit den Klimawandel, Armut und oft auch Konflikten zu kämpfen haben, sind für Rawet Anlass zu besonderer Sorge.

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In einem fragilen Kontext wie im Südsudan bedeutet die zusätzliche Belastung durch COVID-19 auch einen Anstieg des Hungers. Foto: WFP/Gabriela Vivacqua

Wahrscheinlich veranschaulicht das kein Ort besser als der Südsudan, wo die junge Übergangsregierung der Nationalen Einheit — kaum zwei Monate alt — bereits vor COVID-19 vor gewaltigen Herausforderungen stand. Jahrzehntelanger Krieg, Dürren, Überschwemmungen, eine stagnierende Wirtschaft und jüngst die Heuschreckeninvasion geißeln das Land. Jetzt kam COVID-19 und ein starker Rückgang des Ölpreises hinzu, der 98 Prozent des Regierungshaushalts auslöschte.

„Dieses Land kann jetzt nicht mit groß angelegten Kämpfen fertig werden. Es ist einfach keine Widerstandfähigkeit mehr übrig."

„Anfang des Jahres 2020 zeigten unsere Prognosen, dass bis Mai — also jetzt — 55 Prozent der Bevölkerung, oder 6,5 Millionen Menschen, Hunger auf Krisenlevel leiden würden", sagt Hollingworth. „COVID-19-bedingte Reise- und Bewegungseinschränkungen bedeuten nun, dass zwischen 1,5 und 2 Millionen Menschen, die in städtischen Gebieten leben, nicht in der Lage sind, die 2 oder 3 Dollar pro Tag zu verdienen, die sie brauchen, um über die Runden zu kommen. Das bedeutet, dass jetzt etwa 70 Prozent der Bevölkerung nicht wissen, wo ihre nächste Mahlzeit herkommen wird."

Auch die Sicherheit ist zerbrechlich. Allein in den vergangenen vier Wochen haben Kämpfe von Parteien, die das Friedensabkommen nicht unterzeichnet haben, zwischen 6.000 und 20.000 Menschen gezwungen, aus ihren Häusern in den südlichen Gebieten des Landes zu fliehen. „Das sind Menschen, die in der Kornkammer des Südsudans lebten und arbeiteten und nun auf humanitäre Hilfe angewiesen sind", sagt Hollingworth. Er fügt hinzu, dass die humanitäre Gemeinschaft schon jetzt überfordert ist und Mühe hat, die bestehenden Hilfsbedarfe zu decken — geschweige denn auf eine neue Not zu reagieren.

„Wir müssen um jeden Preis versuchen, eine Rückkehr zu einem Szenario zu verhindern, wie wir es 2013 oder 2016 hatten, als der Konflikt in vollem Gange war. Dieses Land kann jetzt nicht mit groß angelegten Kämpfen fertig werden. Es ist einfach keine Widerstandfähigkeit mehr übrig", schließt er.

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Matthew Hollingworth ist WFP-Landesdirektor im Südsudan. Zuvor war er als Landesdirektor im Sudan und im vom Krieg zerrütteten Syrien tätig. Er war auch als stellvertretender Regionaldirektor für den Nahen Osten, Nordafrika, Zentralasien und Osteuropa tätig. Er verfügt über Erfahrungen in vielen herausfordernden Kontexten, darunter Afghanistan, Ägypten, Irak, Libanon, Libyen und Pakistan sowie in den Bereichen Logistik und Nothilfe.

Brian Lander ist stellvertretender Direktor des WFP-Büros in Genf. Anfang 2020 diente er als WFP-Notfallkoordinator für Nordwestsyrien und Ende 2019 als Notfallkoordinator für die regionale Hilfe in der Sahelzone. Neben seiner Tätigkeit am WFP-Hauptsitz in Rom war er 20 Jahre lang für den UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) in Asien, Afrika und an dessen Hauptsitz in Genf tätig.

Sigrún Rawet ist stellvertretende Direktorin von SIPRI. Bevor sie im September 2018 zu SIPRI kam, war sie Leiterin der Abteilung für Entwicklung und humanitäre Hilfe an der Ständigen Vertretung Schwedens bei den Vereinten Nationen (UNO) in New York. Davor hatte sie eine Reihe von Positionen im schwedischen Außenministerium inne, unter anderem als Leiterin der Konfliktabteilung. Seit 2019 ist sie Kommissarin in der Lancet/SIGHT-Kommission für Gesundheit, Gender und Konflikt, und zwischen 2012 und 2015 war sie auch Beraterin des Vorsitzenden des Fonds für Friedenskonsolidierung des Generalsekretärs.