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Hungersnot in Gaza erstmals bestätigt

Photo: WFP/Ali Jadallah. Child attending their weekly or biweekly check-ups with Action Against Hunger (ACF), a key implementing partner of WFP. Palestine, Gaza city.
FAO, UNICEF, WFP und WHO bekräftigen ihre Forderung nach sofortiger Waffenruhe und ungehindertem humanitären Zugang, um Mangelernährungs- und hunger bedingte Todesfälle einzudämmen

Gemeinsame Pressemitteilung von FAO, UNICEF, WHO und WFP

ROM/GENF/NEW YORK – Mehr als eine halbe Million Menschen in Gaza sind von einer Hungersnot betroffen, die sich durch weit verbreiteten Hunger, extreme Not und vermeidbare Todesfälle auszeichnet. Das geht aus einer neuen Analyse der „Integrated Food Security Phase Classification“ (IPC) hervor, die heute veröffentlicht wurde. In den kommenden Wochen wird erwartet, dass sich die Hungersnot von der Provinz Gaza auf die Provinzen Deir Al Balah und Khan Younis ausbreitet.

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), UNICEF, das UN-Welternährungsprogramm (WFP) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben wiederholt und gemeinsam auf die extreme Dringlichkeit einer sofortigen und umfassenden humanitären Reaktion hingewiesen – angesichts der zunehmenden hungerbedingten Todesfälle, der sich rapide verschärfenden akuten Mangelernährung und des dramatischen Rückgangs der Nahrungsaufnahme. Hunderttausende Menschen verbringen Tage ohne jegliche Nahrung.

Die Organisationen betonen, dass die Hungersnot unter allen Umständen verhindert werden muss. Eine sofortige Waffenruhe und ein Ende der Gewalt sind entscheidend, um eine ungehinderte, groß angelegte humanitäre Hilfe zu ermöglichen, die Leben retten kann. Die Organisationen zeigen sich zutiefst besorgt über eine mögliche Intensivierung der militärischen Offensive in Gaza-Stadt und jede weitere Eskalation des Konflikts, da dies verheerende Folgen für die Zivilbevölkerung hätte – insbesondere dort, wo bereits Hungersnotähnliche Bedingungen herrschen. Viele Menschen – insbesondere kranke und mangelernährte Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen – könnten nicht evakuiert werden.

Bis Ende September werden über 640.000 Menschen im gesamten Gazastreifen von katastrophaler Ernährungsunsicherheit betroffen sein – eingestuft als IPC-Phase 5. Weitere 1,14 Millionen Menschen werden sich in einer Notlage (IPC-Phase 4) befinden, und 396.000 Menschen in einer Krise (IPC-Phase 3). Die Lage im Norden Gazas wird als ebenso schlimm – oder schlimmer – als in Gaza-Stadt eingeschätzt. Aufgrund fehlender Daten konnte jedoch keine IPC-Klassifizierung vorgenommen werden, was den dringenden Bedarf an Zugang zur Bewertung und Hilfe unterstreicht. Rafah wurde nicht analysiert, da Hinweise darauf hindeuten, dass die Region weitgehend entvölkert ist.

Die Einstufung als Hungersnot bedeutet, dass die extremste Kategorie erreicht ist, wenn drei kritische Schwellenwerte – extreme Nahrungsmittelknappheit, akute Mangelernährung und hungerbedingte Todesfälle – überschritten wurden. Die aktuelle Analyse bestätigt nun auf Grundlage plausibler Beweise, dass diese Kriterien erfüllt sind.

Fast zwei Jahre Konflikt, wiederholte Vertreibungen und massive Einschränkungen beim humanitären Zugang – verschärft durch wiederholte Unterbrechungen bei der Versorgung mit Nahrung, Wasser, medizinischer Hilfe sowie Unterstützung für Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei – haben die Menschen in den Hunger getrieben. Gleichzeitig sind Gesundheitssysteme, sanitäre Einrichtungen und Märkte zusammengebrochen.

Der Zugang zu Nahrung in Gaza bleibt stark eingeschränkt. Im Juli hat sich die Zahl der Haushalte, die von extremem Hunger berichten, im Vergleich zu Mai verdoppelt – in Gaza-Stadt sogar verdreifacht. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung (39 Prozent) gab an, tagelang nichts zu essen zu haben; Erwachsene verzichten regelmäßig auf Mahlzeiten, um ihre Kinder zu versorgen.

Die Mangelernährung bei Kindern in Gaza nimmt mit katastrophaler Geschwindigkeit zu. Allein im Juli wurden über 12.000 Kinder als akut mangelernährt identifiziert – der höchste jemals verzeichnete Monatswert und ein Sechsfaches im Vergleich zum Jahresbeginn. Fast ein Viertel dieser Kinder leidet unter schwerer akuter Mangelernährung (SAM), der tödlichsten Form mit kurz- und langfristigen Folgen.

Seit der letzten IPC-Analyse im Mai hat sich die Zahl der Kinder, die bis Ende Juni 2026 voraussichtlich einem lebensbedrohlichen Risiko durch Mangelernährung ausgesetzt sind, von 14.100 auf 43.400 verdreifacht. Auch bei schwangeren und stillenden Frauen hat sich die Zahl der betroffenen Fälle verdreifacht – von 17.000 im Mai auf 55.000 bis Mitte 2026. Die Auswirkungen sind sichtbar: Jedes fünfte Baby wird zu früh oder untergewichtig geboren.

Die neue Bewertung dokumentiert die schwerste Verschlechterung seit Beginn der IPC-Analysen zur akuten Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung im Gazastreifen – und markiert das erste Mal, dass eine Hungersnot offiziell im Nahen Osten bestätigt wurde.

Seit Juli sind die Lebensmittel- und Hilfslieferungen nach Gaza zwar leicht gestiegen, bleiben aber angesichts des Bedarfs völlig unzureichend, unregelmäßig und schwer zugänglich.

Gleichzeitig sind rund 98 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen beschädigt oder unzugänglich – die Landwirtschaft und lokale Nahrungsmittelproduktion sind nahezu vollständig zerstört. Neun von zehn Menschen wurden mehrfach aus ihren Häusern vertrieben. Bargeld ist extrem knapp, Hilfsoperationen sind stark gestört, die meisten UN-Lieferwagen wurden geplündert – Ausdruck wachsender Verzweiflung. Die Lebensmittelpreise sind extrem hoch, es fehlt an Brennstoff und Wasser zum Kochen sowie an Medikamenten und medizinischer Ausrüstung.

Das Gesundheitssystem in Gaza ist stark geschwächt, der Zugang zu sicherem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen drastisch reduziert. Gleichzeitig nehmen multiresistente Infektionen zu, und die Krankheitsraten – darunter Durchfall, Fieber, akute Atemwegs- und Hautinfektionen – sind bei Kindern alarmierend hoch.

Um lebensrettende humanitäre Maßnahmen zu ermöglichen, betonen die UN-Organisationen die Notwendigkeit einer sofortigen und dauerhaften Waffenruhe – um das Töten zu beenden, die sichere Freilassung von Geiseln zu ermöglichen und ungehinderten Zugang für eine massive Hilfsaktion zu schaffen. Sie fordern dringend mehr Nahrungsmittelhilfe, eine deutlich verbesserte Lieferung, Verteilung und Zugänglichkeit sowie Unterkünfte, Brennstoff, Kochgas und Produktionsmittel für Lebensmittel. Ebenso wichtig ist die Wiederherstellung des Gesundheitssystems, die Aufrechterhaltung und Wiederbelebung grundlegender Gesundheitsdienste – einschließlich der Primärversorgung – sowie die kontinuierliche Versorgung mit medizinischen Gütern in und innerhalb Gazas. Die Wiederherstellung kommerzieller Strukturen, Marktsysteme, grundlegender Dienstleistungen und lokaler Nahrungsmittelproduktion ist entscheidend, um die schlimmsten Folgen der Hungersnot zu verhindern.


„Die Menschen in Gaza haben alle erdenklichen Mittel zum Überleben ausgeschöpft. Hunger und Mangelernährung fordern täglich Menschenleben, und die Zerstörung von Ackerland, Viehbeständen, Gewächshäusern, Fischerei und Nahrungsmittelproduktionssystemen hat die Lage weiter verschärft“, sagte FAO-Generaldirektor QU Dongyu. „Unsere oberste Priorität muss jetzt ein sicherer und dauerhafter Zugang für umfassende Nahrungsmittelhilfe sein. Zugang zu Nahrung ist kein Privileg – es ist ein grundlegendes Menschenrecht.“

„Die Warnungen vor einer Hungersnot sind seit Monaten eindeutig“, sagte Cindy McCain, Exekutivdirektorin des WFP. „Was jetzt dringend gebraucht wird, ist eine massive Ausweitung der Hilfe, sichere Bedingungen und bewährte Verteilungssysteme, um die Bedürftigsten zu erreichen – ganz gleich, wo sie sich befinden. Vollständiger humanitärer Zugang und eine sofortige Waffenruhe sind entscheidend, um Leben zu retten.“

„Die Hungersnot ist für Kinder in der Provinz Gaza inzwischen bittere Realität – und eine drohende Gefahr für Deir al-Balah und Khan Younis“, sagte UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell. „Wie wir wiederholt gewarnt haben, waren die Anzeichen unübersehbar: ausgemergelte Kinderkörper, zu schwach zum Weinen oder Essen; Babys, die an Hunger und vermeidbaren Krankheiten sterben; Eltern, die in Kliniken erscheinen, ohne etwas zu essen für ihre Kinder. Es bleibt keine Zeit. Ohne eine sofortige Waffenruhe und vollständigen humanitären Zugang wird sich die Hungersnot ausbreiten – und weitere Kinder werden sterben. Kinder am Rande des Verhungerns benötigen spezielle therapeutische Ernährung, wie sie UNICEF bereitstellt.“

„Eine Waffenruhe ist jetzt ein absolutes moralisches Gebot“, sagte WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus. „Die Welt hat zu lange gewartet und dabei zugesehen, wie tragische und vermeidbare Todesfälle durch diese menschengemachte Hungersnot zunehmen. Die weit verbreitete Mangelernährung führt dazu, dass selbst gewöhnliche und normalerweise harmlose Krankheiten wie Durchfall tödlich werden – besonders für Kinder. Das Gesundheitssystem, betrieben von hungrigen und erschöpften Mitarbeitenden, ist überfordert. Gaza muss dringend mit Nahrung und Medikamenten versorgt werden, um Leben zu retten und den Prozess der Erholung einzuleiten. Krankenhäuser müssen geschützt werden, damit sie weiterhin Patienten versorgen können. Hilfsblockaden müssen beendet und Frieden wiederhergestellt werden, damit Heilung möglich ist.“


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Hinweise für Redaktionen:

IPC-Report.

Die „Integrated Food Security Phase Classification“ (IPC) ist eine innovative Initiative von 21 Partnerorganisationen – darunter UN-Agenturen und internationale NGOs – zur Verbesserung der Analyse und Entscheidungsfindung im Bereich Ernährungssicherheit und Ernährungslage. Mithilfe der IPC-Klassifizierung und des analytischen Ansatzes arbeiten Regierungen, UN-Organisationen, NGOs, die Zivilgesellschaft und andere relevante Akteure gemeinsam daran, das Ausmaß und die Schwere von akuter und chronischer Ernährungsunsicherheit sowie akuter Mangelernährung in einem Land gemäß international anerkannten wissenschaftlichen Standards zu bestimmen. 

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Themen

Palästina Gesicherte Ernährung Konflikte Krisen

Kontakt

Svenja von Reuss, Pressereferentin

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