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Neuer Bericht: In Nord-Gaza steht Hungersnot unmittelbar bevor

Photo: WFP/Ali Jadallah WFP Food assistance to internally displaced families Palestine, Deir El Balah, Gaza, 11 January 2024.
ROM - Im nördlichen Teil des Gazastreifens droht unmittelbar eine Hungersnot. Die gesamte Bevölkerung leidet Hunger auf Krisenniveau. Das geht aus dem heute veröffentlichten Bericht zur Integrated Food Security Phase Classification (IPC) hervor.

In den beiden nördlichen Gouvernements des Gazastreifens, wo rund 300.000 Menschen von den Kämpfen eingeschlossen sind, wird bis Mai mit einer Hungersnot gerechnet*. Der Schwellenwert für akuten Hunger wurde bereits weit überschritten, die akute Unterernährung bei Kindern unter fünf Jahren steuert in Rekordtempo auf den zweiten Schwellenwert für eine Hungersnot zu. Die Datenlage zu nicht-traumaassoziierten Todesfällen - dem dritten Indikator für eine Hungersnot – ist, wie häufig in Kriegsgebieten, beschränkt, aber auch hier steigen die Zahlen.

Insgesamt zeigt der neue Bericht, dass im Gazastreifen 1,1 Millionen Menschen - die Hälfte der Bevölkerung - ihre Nahrungsmittelvorräte aufgebraucht haben und nun von katastrophalem Hunger (die höchste IPC-Phase 5) betroffen sind. Das ist die höchste jemals gemessene IPC5-Hungerzahl und doppelt so hoch wie noch vor drei Monaten.

“Die Menschen in Gaza verhungern. Die Geschwindigkeit, mit der dieser von Menschen verursachte Hunger und die Unterernährung den Gazastreifen überrollt haben, ist erschreckend”, sagte die Exekutivdirektorin des WFP, Cindy McCain. “Es bleibt nur noch ein sehr kleines Zeitfenster, um eine Hungersnot abzuwenden. Dazu brauchen wir sofortigen und uneingeschränkten Zugang zum Norden. Wenn wir warten, bis die Hungersnot ausgerufen wird, ist es zu spät. Tausende Menschen mehr werden dann bereits tot sein.“

Der Bericht zeigt eine alarmierende Zunahme der Unterernährung im gesamten Gazastreifen. Vor fünf Monaten, bevor die Kämpfe eskalierten, lag die Rate akuter Unterernährung noch bei weniger als 1%. Aktuelle Daten zeigen, dass im Gouvernement Nord-Gaza eines von drei Kindern unter zwei Jahren akut unterernährt ist. Das bedeutet, dass sie im Vergleich zu ihrer Körpergröße gefährlich dünn sind, was lebensbedrohlich sein kann.

Die südlichen Gouvernements Deir al Balah, Khan Younis und Rafah sind in die IPC-Phase 4 eingestuft und laufen ebenfalls Gefahr, bis Juli 2024 in eine Hungersnot abzurutschen. 88% der Bevölkerung sind von einer Notsituation oder einer noch schlechteren Ernährungslage betroffen. Exekutivdirektorin McCain erklärte: ”Im gesamten Gazastreifen sind verzweifelte Frauen und Kinder nur einen Schritt, eine Krankheit oder eine Vertreibung davon entfernt, alles zu verlieren.“

Dem Bericht zufolge könnte eine Hungersnot - selbst im nördlichen Gazastreifen - noch abgewendet werden, wenn Hilfsorganisationen uneingeschränkten Zugang erhielten, um die gesamte Zivilbevölkerung mit Nahrungsmitteln, Wasser, Medikamenten, sanitären Einrichtungen und Brennstoff zu versorgen. Dafür braucht es einen sofortigen humanitären Waffenstillstand.

WFP schätzt, dass allein zur Deckung des Grundnahrungsmittelbedarfs täglich mindestens 300 Lastwagen in den Gazastreifen einfahren und Lebensmittel verteilen müssten, vor allem im Norden. Seit Anfang des Jahres konnte WFP nur neun Konvois in den Norden bringen.

Bei dem letzten dieser Transporte am Sonntagabend handelte es sich um 18 LKW-Ladungen mit Nahrungsmitteln, die von WFP nach Gaza-Stadt geliefert wurden. Dieser Konvoi, der zweite, der über eine abgesprochene Route nach Gaza-Stadt und in den Norden fuhr, lieferte rund 274 Tonnen Weizenmehl, Lebensmittelpakete und verzehrfertiges Essen.

Diese Route muss für tägliche Konvois und einen sicheren Zugang zum Norden zur Verfügung gestellt werden.

Der Transport von Hilfsgütern in den Norden des Gazastreifens muss täglich von den israelischen Behörden bewilligt werden. Während der langen Wartezeiten am Kontrollpunkt Wadi Gaza werden LKW-Konvois geplündert und häufig zurückgewiesen. Wenn sie doch durchkommen, ist die Gefahr von weiteren Plünderungen auf der schwierigen Strecke nach Norden groß.

”WFP und unsere Partner halten an der Grenze und in der Region Nahrungsmittel bereit, um alle 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen zu versorgen - aber Nahrungsmittel nach Gaza reinzubringen und zu verteilen, gleicht einem Irrgarten mit neuen Hindernissen hinter jeder Ecke“, sagte der stellvertretende Exekutivdirektor des WFP, Carl Skau. ”Die komplizierten Grenzkontrollen in Verbindung mit den großen Spannungen und der Verzweiflung innerhalb des Gazastreifens machen es nahezu unmöglich, dass die Nahrungsmittel die Notleidenden erreichen, insbesondere im Norden. Aber die Lieferung von 18 Lastwagen mit Lebensmitteln am Sonntag zeigt, dass es möglich ist. Das kann keine einmalige Sache sein, sondern muss dauerhaft, regelmäßig und in großem Umfang erfolgen, um die Notleidenden zu unterstützen.“

Um die erforderliche Hilfe leisten zu können, sind WFP und seine humanitären Partner darauf angewiesen, dass Israel mehr Zugänge in den Gazastreifen öffnet, einen direkten Grenzübergang im Norden ermöglicht und den israelischen Hafen Aschdod für den Transport von Nahrungsmitteln nutzt.

Ein dauerhafter Zugang auf dem Landweg - sowohl in den Gazastreifen als auch innerhalb des Gazastreifens - ist von entscheidender Bedeutung. Andere Optionen wie Luftabwürfe können nicht die erforderliche Menge an Hilfsgütern liefern, um eine drohende Hungersnot abzuwenden. Vor allem aber ist ein Waffenstillstand dringend erforderlich, damit WFP und die humanitäre Gemeinschaft eine umfassende Hilfsaktion durchführen können, die alle bedürftigen Menschen erreicht.

 

*Auch wenn medial häufig von einer Hungersnot gesprochen wird, wissenschaftlich ist es ein eng definierter Begriff. Um ein Gebiet oder eine Region als von Hungernot betroffen zu klassifizieren, müssen drei unterschiedliche Schwellenwerte überschritten werden. 

  • Wenn mind. 20% der Menschen katastrophalen Hunger (IPC-Stufe 5) leiden; 
  • Wenn mind. 30% der Kinder akut unterernährt sind;
  • Wenn pro Tag 2 von 10.000 Menschen an Hunger sterben;

 

Hinweise für Redakteur*innen:

Über IPC: IPC ist eine Multi-Stakeholder-Plattform, die Daten des UN-Welternährungsprogramms (WFP), anderer UN-Organisationen und Nichtregierungsorganisationen analysiert, um die Schwere und das Ausmaß von Hungerkrisen nach international anerkannten wissenschaftlichen Standards zu bestimmen.



Reports: Hier ist der IPC-Report und hier die kürzere Zusammenfassung.

 

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Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) ist die größte humanitäre Organisation der Welt im Kampf gegen den Hunger. Wir retten Leben in Notfällen und ebnen mit Ernährungshilfe den Weg zu Frieden, Stabilität und Wohlstand für Menschen, die von Konflikten, Katastrophen und den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind.

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