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Die Insel der Hoffnung

Wie Frauen in Bangladesch mit Kürbissen gegen die Klimakrise kämpfen
, Lena von Zabern
Frauen stehen im Kürbisfeld auf einer Sandbank in Bangladesch
Im WFP-Pilotprojekt in Kurigram, Bangladesch kämpfen Frauen gemeinsam mit WFP gegen die Folgen der Klimakrise, für ihre Selbstständigkeit und eine Zukunft ohne Hunger. Foto: WFP/ Lena von Zabern

Keine zehn Minuten braucht das Motorboot, bis die erste Char aus dem Flussbett des Brahmaputra auftaucht. Durch die graublaue Wand aus Himmel und Wasser ist der Sandstreifen kaum zu erkennen. Auf Bengali, der Landessprache Bangladeschs, bedeutet Char so viel wie Insel oder Sandbank. Mehr als 200 von Ihnen gibt es allein in diesem Abschnitt des Brahmaputra, einem der längsten Flüsse der Welt. Doch diese Char ist anders als alle anderen. Verlässt man das Boot und klettert über eine Holzplanke die steil abfallende Sandbank hinauf, erscheinen dutzende Felder, die sich nahtlos aneinanderreihen. Frauen in farbenfroher Kleidung laufen zwischen den grünen Ranken mit den Herzförmigen Blättern umher und bewässern das kostbare Gut zu ihren Füßen, das in dieser unwirtlichen Gegend wie eine Fata Morgana aus dem Sand spriest: Kürbisse. Auf dieser Insel kämpfen Bilkis Begum, Amina Begum und Asha Akhter gemeinsam mit WFP gegen die Folgen der Klimakrise, für ihre Selbstständigkeit und eine Zukunft ohne Hunger.  

„Die Dinge haben sich sehr verändert.“ Asha Akhter kniet im Sand, den gelben Schal um die Schulter gewickelt und begutachtet prüfend den Kürbis. Seitdem das Pilotprojekt von WFP 2018 in Kurigram, Rangpur, im Nordosten Bangladeschs begonnen hat, hört man diesen Satz oft. 25 Frauen kümmern sich auf der Char Borovita gemeinschaftlich um die wassersparenden Kürbisfelder. Sie sind das ungewöhnliche Ergebnis einer lebensentscheidenden Frage: Wie können sich die ärmsten Menschen Bangladeschs gegen die verheerenden Folgen der Klimakrise wappnen?

Was die Klimakrise bedeutet, dass weiß in Kurigram jede*r. Jahr für Jahr werden die Überschwemmungen in der Regenzeit heftiger. Allein 2020 traten die die Flüsse fünfmal über die Ufer – das größte und längste Hochwasser in zwanzig Jahren. Fünf Millionen der insgesamt 169 Millionen Einwohner*innen Bangladeschs leben auf den Chars. Für sie sind die Folgen katastrophal. Die Klimakrise vernichtet Ernten und Einkommen und vertreibt die Menschen, die die Inseln im Fluss seit jeher bewohnen.

„Mein Haus stand genau hier, aber es wurde weggeschwemmt“, erzählt die 41-Jährige Amina Begum. „Ich musste auf diese Char umziehen, doch meine Lage ist weiterhin prekär. Ich mache mir schon Sorgen wegen der kommenden Flut.“

Portrait einer Frau auf der Sandbank
Kurigram ist eine der ärmsten Gegenden in ganz Bangladesch. 70 Prozent der Bevölkerung haben kaum Zugang zu Nahrungsmitteln und leiden unter akutem Hunger (IPC 4). "Wenn der Fluss alles auswäscht, verlieren die Familien alles" erzählt Amina Begum. Foto: WFP/ Lena von Zabern

Wie viele andere Menschen besaß Amina früher ihr eigenes Land, das sie nach und nach an den Brahmaputra verlor. In den letzten 25 Jahren musste sie fünf Mal umziehen. Doch die neugefundene Sicherheit währt nie lange. “Sie sehen unsere Landschaft hier. Sie ist sehr riskant. Wenn der Fluss alles auswäscht, verlieren die Familien alles. Ich bin arm, ich habe nicht genug Geld, um woanders hinzuziehen, also musste ich zur nächsten Flussbank gehen. Wenn ich genug Geld hätte, würde ich an einen sichereren Ort ziehen."

Kurigram ist eine der ärmsten Gegenden in ganz Bangladesch. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Viele arbeiten in der Landwirtschaft. Dennoch haben 70 Prozent der Bevölkerung kaum Zugang zu Nahrungsmitteln und leiden unter akutem Hunger (IPC 4). Das Leben auf den Chars ist besonders hart. Kommunikations- und Transportwege sind lang, die Gesundheitsversorgung eingeschränkt. Kinder nehmen oft beschwerliche Wege mit leerem Magen auf sich, um die nächstgelegene Sandbank mit einer Schule zu erreichen. In der Monsunzeit können diese alltäglichen Wege tödlich sein. 

Frau mit Kind steht im Kürbisfeld
Das WFP-Pilotprojekt in Kurigram unterstützt Familien wie Bilkis Begum und ihre kleine Tochter Ashrafi Kathun dabei, sich rechtzeitig auf die Überschwemmungen vorzubereiten, schnell wieder auf die Beine zu kommen und sich langfristig besser dagegen wappnen zu können. Foto: WFP/ Lena von Zabern

„Während des Hochwassers haben wir in vielerlei Hinsicht gelitten“, blickt die 33-jährige Bilkis Begum auf die letzte Regenzeit zurück. „Es gab keine Möglichkeit zu kommunizieren. Ich saß im Haus fest und mein Mann konnte nicht arbeiten, so dass wir kein Geld mehr hatten. Drei Mahlzeiten am Tag konnten wir uns nicht leisten.“

Die Geschichte von Bilkis Begum könnte hier enden. Als eine Familie, von Millionen, für die, die Klimakrise ein Leben in Hunger und Armut bedeutet. Das WFP-Pilotprojekt in Kurigram setzt hier an und unterstützt Familien wie Bilkis Begums dabei sich rechtzeitig auf die Überschwemmungen vorzubereiten, schnell wieder auf die Beine zu kommen und sich langfristig besser dagegen wappnen zu können.

So funktioniert's
Forecast-based Financing – vor der Krise helfen 

Um die Menschen auf den Chars im Fall eines Hochwassers rechtzeitig helfen zu können, bietet WFP Schulungen in Katastrophenmanagement an. Droht der Fluss über die Ufer zu treten, werden die Inselbewohner*innen von WFP und geschulten Freiwilligen frühzeitig gewarnt. Gleichzeitig erhalten gefährdete Familien auf Grundlage von Hochwasserprognosen Bargeld, damit sie sich in Sicherheit bringen können.

2019 und 2020 erhielten 6.000 Haushalte Bargeld in Höhe von 4.500 Taka (etwa 42 US-Dollar), bevor das Hochwasser den Höchststand erreichte. "Diese 4500 Taka fühlten sich wie 40.000 Taka an. Mit dem Geld konnten wir uns auf diesen Moment vorbereiten, wir konnten Lebensmittel kaufen und in unsere Häuser investieren."

Bilkis Begum hat diese vorausschauende humanitäre Hilfe viel Leid erspart, denn sie hat sie und ihre kleine Tochter davor Ashrafi Kathun davor bewahrt, wieder in Armut und Hunger abzurutschen.

„Nachdem ich das Bargeld von WFP erhalten hatte, baute ich ein Floß aus Bananenstauden, um zu anderen Geschäften auf der anderen Seite des Flusses zu fahren und die Dinge zu kaufen, die wir brauchten. Von dem Geld habe ich auch Lebensmittel gekauft.“ 

Klimarisikoversicherung

Gegen Schäden und Verluste nach der Katastrophe hilft in einem zweiten Schritt die WFP-Klimarisikoversicherung. Die Auszahlung, die die Inselbewohner*innen im Falle einer Katastrophe erhalten, basiert auf vorher festgelegten Hochwasserwerten, zum Beispiel dem Ausmaß und der Dauer der Überschwemmung. So erhalten Betroffene ausreichend Geld, um ihre Häuser zu reparieren oder Lebensmittel zu kaufen.

Langfristig gegen die nächste Überschwemmung wappnen

Damit diese Hilfen auch langfristig wirken, können die Frauen auf der Char in WFP-Schulungen unternehmerische Kenntnisse erwerben. Das schafft mehr Einkommensquellen und ermöglicht gefährdeten Menschen das ganze Jahr über Geld zu verdienen. In einem fünftägigen Ideen-Workshop überlegen die Frauen, welche Geschäftsidee sie umsetzen möchten und erhalten dann ein Training von WFP und das nötige Startkapital.

Asha Akhter lernte innerhalb von zehn Tagen, das Nähen. Sie kaufte sich eine Nähmaschine und verdient nun ihr eigenes Geld mit dem Reparieren von Kleidung. Zusätzlich arbeitet sie auf dem Kürbisfeld- ein weiteres Produkt der Ideenwerkstatt, das nicht nur Einkommen schafft und Ernährung sichert, sondern auch das Klima schützt.

Die Kürbisse verbrauchen nur wenig Wasser – ideal, um auf den kargen Sandbänken überleben zu können. Sie werden in der Trockenzeit angepflanzt und noch vor Beginn des Monsuns geerntet. Bis zu sechs Monate kann der nähstoffreiche Kürbis aufbewahrt werden. Für Frauen wie Asha heißt das nicht nur volle Teller, sondern auch mehr Zeit nach der Ernte, um die Kürbisse zu einem guten Preis zu verkaufen. Doch der Kürbis hilft nicht nur bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels, sondern bindet gleichzeitig Kohlenstoffdioxid aus der Luft und bildet daraus Biomasse.

Asha Akhter ist inzwischen zur Kürbisexpertin geworden. Sie weiß, wie man die Kürbissamen vor Wind und Sand schützt und wie wichtig es ist, dass WFP die Frauen langfristig durch Schulungen unterstützt. 

Portrait von Asha Akter
Kürbisexpertin Asha Akhter. Durch die Schulungen von WFP können die Frauen auf der Insel ihr eigenes Geld verdienen, werden finanziell unabhängiger und haben mehr Mitspracherecht in der Familie. Foto: WFP/ Lena von Zabern

„Vor diesem Projekt mussten wir unsere Ehemänner nach Geld fragen. Jetzt verdienen wir unser eigenes Geld und können unsere Familie unterstützen. Wir können unsere Kinder in die Schule schicken und unser Geld für verschiedene Dinge ausgeben.“

Im Mai beginnt die nächste Regenzeit. Asha Akhter, Bilkis Begum und Amina Begum werden weiter an vorderster Front gegen die Klimakrise kämpfen müssen. Die Hilfe, die sie dabei erhalten, wünschen sie sich auch für Millionen weitere Familien, deren Leben in den Händen des Bramaputhra liegt. „Wir alle träumen von einem besseren Leben, wie ihr. Aber uns fehlen die Möglichkeiten.“

Das Schicksal der Frauen auf den Chars entscheidet sich nicht nur in Bangladesch. Um sie beim Kampf gegen die Klimakrise zu unterstützen, muss die Weltgemeinschaft mehr investieren – nicht nur in Anpassungsmaßnahmen, sondern auch in die eigenen Klimaziele. 

Frauen stehen in Bangladesch auf einer Sandbank
„Wir alle träumen von einem besseren Leben, wie ihr. Aber uns fehlen die Möglichkeiten.“

Um die Frauen auf Char Borovita beim Kampf gegen die Klimakrise zu unterstützen, muss die Weltgemeinschaft mehr investieren – nicht nur in Anpassungsmaßnahmen, sondern auch in die eigenen Klimaziele. Foto: WFP/ Lena von Zabern

 

Das WFP-Pilotprojekt in Kurigram wird seit 2018 unter Anderem mit deutscher Unterstützung durch das Auswärtige Amt finanziert.

Mehr Infos über die Arbeit von WFP in Bangladesch und Lösungen für die Klimakrise

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