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Haiti und Corona: Nicht nur Essen fehlt, auch das Gefühl der Sicherheit

Es gibt unzählige Möglichkeiten, die 75 US-Dollar des UN World Food Programme (WFP) im Dorf Grande Rivière auszugeben. Und jede einzelne hat die Macht, den Menschen während der Pandemie ein bisschen Sicherheit zu geben.
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Rosita ist 29 Jahre alt und Mutter von zwei kleinen Kindern. Ein Test an einer WFP-Verteilstelle hat gezeigt, dass ihre einjährige Tochter Smiralda (im Bild) mangelernährt ist. Seitdem wird sie von UNICEF und dem haitianischen Gesundheitsministerium behandelt. Rosita kam früher durch den Verkauf von Kleidung auf dem lokalen Markt über die Runden. Doch mit COVID-19 gingen ihre Verkäufe um mehr als die Hälfte zurück. Mit der monatlichen Bargeldhilfe von WFP kann sie während der Krise ihre Familie ernähren. Foto: WFP/Antoine Vallas

Grande Rivière du Nord verdankt seinen Namen dem Fluss, der das Dorf in zwei Ufer teilt. Doch in den letzten zwei Jahren hat es kaum geregnet, die meisten Ernten gingen verloren. Den Ausbruch von COVID-19 spüren jetzt vor allem Familien, die am meisten unter der kollabierenden Wirtschaft, den Bewegungseinschränkungen und dem starken Anstieg der Lebensmittelpreise leiden.

Bei weitem das ärmste Land Lateinamerikas und der Karibik wurde Haiti in den letzten zehn Jahren wiederholt von Katastrophen und extremem Wetter heimgesucht und befindet sich nun in einer lang anhaltenden wirtschaftlichen und sozialen Krise. Fast 40% der Bevölkerung (4,1 Millionen Menschen) haben keinen ausreichenden Zugang zu Ernährung. Da sich die Zahl der Hungernden in der gesamten Region infolge der COVID-19-Pandemie bis zu verdreifachen könnte, wird geschätzt, dass künftig bis zu 1,6 Millionen Haitianer*innen unter extremem Hunger leiden könnten — sie müssen Mahlzeiten auslassen, ihr Hab und Gut verkaufen, um zu überleben oder sind starker Mangelernährung ausgesetzt.

In dieser besonders schwierigen Zeit unterstützt das UN World Food Programme (WFP) die Menschen in Grande Rivière du Nord mit Bargeldtransfers. Sie werden von der Europäischen Union finanziert und können für alles ausgegeben werden, was am dringendsten benötigt wird.

Sechs Bewohnerinnen erklären, was diese Hilfe für sie bedeutet.

Gracelene

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Gracelene zeigt ihren WFP-Ausweis und die 8.000 Gourdes (75 US-Dollar), die sie erhalten hat. Foto: WFP/Antoine Vallas

Heute stand Gracelene besonders früh auf und ging noch im Morgengrauen an den Feldern vorbei, auf denen sie oft Blätter und Kräuter pflückt, um sie auf der Straße zu verkaufen. Bei der WFP-Verteilstelle erhält sie zum dritten Mal innerhalb von drei Monaten 8.000 Goudes (75 US-Dollar).

„Bevor wir Hilfe erhielten, aßen wir alles, was wir finden konnten."

Für die WFP-Verteilung versammeln sich Tausende Dorfbewohner*innen auf einem Schulgelände. Das Gelände wurde extra für diesen Anlass mit Handwaschstationen, dicken Kreidemarkierungen zur physischen Distanz und Schachteln mit farbigen Gesichtsmasken für die Teilnehmenden ausgestattet.

In einer der Schlangen hält Gracelene Abstand und wartet geduldig auf ihre Bargeldausgabe. „Bevor wir Hilfe erhielten, aßen wir alles, was wir finden konnten", sagt sie. „Ein paar Bananen, Erdnüsse, ein bisschen Reis und gelegentlich ein Ei. Oft ließen wir Mahlzeiten aus, manchmal aßen wir zwei Tage hintereinander gar nichts."

Gracelene ist ohne Eltern aufgewachsen und hat Angst, dass ihre drei Kinder im Alter von 6, 9 und 15 Jahren mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert werden könnten, die sie als Kind durchleben musste. Bevor sie Aufgrund von COVID-19 geschlossen wurden, besuchten die Kinder die Schule des Dorfes, wo sie jeden Tag eine warme Mahlzeit vom WFP erhielten. Jetzt sind sie zu Hause, und Gracelene muss selbst für Essen sorgen.

„Ich fühle mich sicherer, wenn ich weiß, dass ich meine Kinder ins Krankenhaus bringen kann."

Da die Preise für Grundnahrungsmittel innerhalb eines Jahres um 25% gestiegen sind, ist es teuer geworden, sie auf dem lokalen Markt zu kaufen. Deshalb kauft Gracelene gleich nachdem sie das Bargeld von WFP erhalten hat große Mengen ein, um einen besseren Preis zu bekommen. Auf diese Weise versucht sie, 1.000 Gourdes (9 US-Dollar) auf die Seite zu legen, um Medikamente zu kaufen oder das Krankenhaus besuchen zu können. „Bei all dem, was hier passiert, fühle ich mich sicherer, wenn ich weiß, dass ich meine Kinder ins Krankenhaus bringen kann."

Irana

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Irana und ihr Enkel Cherelus William bei der WFP-Bargeldverteilungsstelle in Grande Riviere. Foto: WFP/Antoine Vallas

Auf die Frage, wie alt sie ist, sagt Irana, das habe sie noch nie gewusst. Aber sie hat herausgefunden, dass sie unter Präsident Vincent geboren wurde, der das Land zwischen 1930 und 1941 regierte. Das bedeutet, dass sie nicht jünger als 80 Jahre alt sein kann.

Von ihren vier Kindern hat Irana inzwischen zwei überlebt. Nur ein Sohn hatte eine Arbeit und konnte damit die Familie ernähren. Er verstarb vor drei Jahren. Ihre beiden Kinder, die noch am Leben sind, betteln seit kurzem in den Straßen des Dorfes um etwas Geld, damit die Familie etwas zu essen hat.

Irana sagt, sie habe früher selbst einen kleinen Marktstand gehabt, aber sie sei jetzt behindert und könne seit Jahren nicht mehr arbeiten. Sie lebt mit ihrem 13-jährigen Enkel, der ihr zur Verteilstelle geholfen hat.

Irana wird die 8.000 Gourdes von WFP verwenden, um Reis, Erbsen, Bohnen, Spinat und ein Huhn zu kaufen. Sie freut sich, dass sie zum ersten Mal seit Wochen wieder Fleisch essen kann.

Claudette

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Claudette hat mit dem Geld von WFP Fleisch, Spinat und Reis auf dem Markt gekauft. Außerdem konnte sie einen Kochtopf kaufen, um eine große warme Mahlzeit für ihren Enkel Cavensley zuzubereiten, der seine Eltern verloren hat. WFP/Antoine Vallas

Claudette ist 60 und Mutter von drei Kindern. Sie ist arbeitslos und kümmert sich um ihren Enkel Cavensley, der beide Eltern verloren hat.

„An manchen Tagen essen wir Fleisch und Reis, aber oft reicht es dafür nicht. Ich kann nicht zulassen, dass sich mein Enkel an das bessere Essen gewöhnt."

Aus Sorge, dass die Bargeldhilfe eingestellt werden könnte, investierte Claudette in fünf Hühner, die bald Eier legen werden. Außerdem konnte sie Kochtöpfe kaufen, um den Reis, Spinat und das Fleisch vom Markt zu kochen und für ihren Jungen warme Mahlzeiten zuzubereiten.

Auf die Frage, was das Lieblingsessen ihres Enkels sei, sagt Claudette, dass sie ihm kein Lieblingsessen erlauben würde. „An manchen Tagen essen wir Fleisch und Reis, aber oft reicht es dafür nicht. Ich kann nicht zulassen, dass sich mein Enkel an das bessere Essen gewöhnt."

Modeline

Modeline ist 22 Jahre alt und hat drei Kinder — alle jünger als 5 Jahre. In den letzten Monaten, so sagt sie, habe sie sich mit Wäschewaschen für ihre Nachbarn und Wasserverkauf ernährt. Sie hat sehr streng mit dem Geld von WFP gespart, um sich eine Ziege für etwa 35 US-Dollar zu kaufen. Sie hofft, dass sie mit einer zweiten Ziege jetzt mehr Sicherheit hat.

Lunise

Lunise ist 27 und lebt allein mit ihren vier Kindern. Mit dem Geld von WFP hat sie Nahrungsmittel für die Woche gekauft. Aber sie hat auch Seife gekauft, um ihre Hände zu waschen und ihren kleinen Stand mit Reinigungsmitteln aufzufüllen, der ihr in einer guten Woche ein Einkommen von etwa 26 US-Dollar bringen kann. „Sie reden immer wieder über das Coronavirus, es ist ziemlich beängstigend. Ich hoffe, wir werden in Zukunft bessere Zeiten haben", sagt sie. Lunise ist ambitioniert, in ihr Kleinunternehmen zu investieren, regelmäßig zu essen und nicht auf Bargeldhilfe angewiesen zu sein, um über die Runden zu kommen.

Lumanie

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Lumanie ist 75 Jahre alt und kümmert sich allein um sechs Kinder. Foto: WFP/Antoine Vallas

Lumanie ist 75. Nach dem Tod ihres Mannes hat sie sich um ihre sechs Kinder gekümmert. Trotz ihres Alters muss Lumanie auf dem Markt Bananen und Kochbananen an einem Stand verkaufen — aber immer weniger Kund*innen kommen vorbei. Ihr einziger Sohn, der die Familie unterstützen konnte, arbeitet als Motorradtaxifahrer, aber auch er hat weniger Fahrgäste.

"Ich konnte mir kaum Essen leisten, dann hatte ich Angst, dass unser Dach einstürzen könnte."

Da sie den größten Teil ihres bescheidenen Einkommens für das Essen der Familie ausgeben musste, war sie gezwungen, ihr Haus verfallen zu lassen. „Ich konnte mir kaum Essen leisten, dann hatte ich Angst, dass unser Dach einstürzen könnte", sagt sie.

Die Unterstützung von WFP hat ihr geholfen, diese Sorge zu lindern. Sie verwendete rund 15 US-Dollar, um einige der Risse mit Zement zu füllen. Jetzt schläft sie sicher.

Die WFP-Bargeldhilfe im Norden Haitis wird großzügig von der Direktion für Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe der Europäischen Union (ECHO) finanziert.